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Welträtsel und Naturwunder Teil II.

Veröffentlicht in GralsWelt Sonderheft 11/2003)

D I E  E I N H E I T  D E R  N A T U R

Das Weltbild im Mittelalter
Für einen Menschen des Mittelalters hat sich die Frage nach der Einheit der Natur kaum gestellt. Er lebte in einer einheitlichen, geschlossenen Welt, in deren Mitte sich die Erde befand. Um die Erde kreisten sieben wandelnde Gestirne (Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn). Den Abschluss bildete das Himmelsgewölbe, dessen Fenster die Sterne sein mochten. Im Inneren der Erde war dann die Hölle zu suchen, die sich von Zeit zu Zeit durch Erdbeben oder Vulkanausbrüche bemerkbar machte.

Regiert wurde diese geschlossene Welt von einen Schöpfer-Gott, der in das irdische Geschehen direkt eingreifen konnte, unter Mitwirkung der Engel und durch Wunder.

Solche göttliche Willkür macht ein Verstehen der Natur und des Lebens unmöglich. Dieses Unverständliche ließ sich durch ein für Menschen unfassliches, weises Gotteswirken erklären, dessen über aller Erdenklugheit stehender Ratschluss alles zum Besten führt.

Religion und Naturforschung widersprachen sich nicht, Astronomie und Astrologie waren die gleiche Wissenschaft, Theologie und Philosophie arbeiteten zusammen und glaubten befriedigende Antworten auf die wesentlichen Seinsfragen zu wissen.

Konsequent zu Ende gedacht, hatte der Mensch in dieser durch Dogmen verengten Welt nur geringe Chancen sein Schicksal selbst zu bestimmen, der unerforschlichen, Gott selbst zugeschriebenen Willkür zu entkommen, und Fortschritte einzuleiten. Ein Mensch musste sich als hilfloses Opfer des Spiels höherer Mächte fühlen.

Ein in solcher Weise fundamentalistisch Beschränkter wird fortschrittsfeindlich denken und handeln, denn er kann es nicht wagen, von dogmatischen Lehrmeinungen abzuweichen. Für autokratische Herrscher und machtgeile Priester ein idealer Zustand, den diese als gottgewollt ausgeben.

Im Abendland stellten Denker der Renaissance, der Reformation und besonders des Barock viele dieser Vorurteile in Frage, mit denen sich andere Kulturkreise und ihre Religionen zum Teil noch auseinandersetzen müssen.

Die kopernikanische Wende
Die mit den Namen Kopernikus, Giordano Bruno, Kepler, Galilei und Newton verbundene „Neue Astronomie“ brachte einen grundlegenden Wandel des abendländischen Weltbildes, der einen Bewusstseinswandel erzwang.

Das geschlossene Himmelsgewölbe wurde gesprengt, und der Mensch auf einen winzigen Planeten verwiesen, der in einem grenzenlosen All um sein Zentralgestirn kreist, das nur eine von vielen Milliarden Sonnen ist.

Dieses neue Weltbild brachte zwangläufig eine Flut unbeantwortbarer Fragen, bis hin zu der Bedeutung der Sendung Jesu in einem grenzenlosen All, mit möglicherweise unzähligen weiteren, von erlösungsbedürftigen Menschen bewohnten Planeten.

Auch die Wissenschaften spalteten sich auf. Theologen und Philosophen verstanden sich nicht mehr, Astronomie und Astrologie wurden zu verfeindeten Schwestern. Die aufstrebenden Naturwissenschaften machten den Religionen ihren Führungsanspruch streitig und verdrängten sie schließlich weitgehend aus dem praktischen Leben.

Von nun an gab es religiöse und wissenschaftliche Weltbilder, die sich gegenseitig ausschlossen. Die Einheit von Religion und Wissenschaft zerbrach. Wo die religiöse Basis bröckelt, sucht man nach anderen Fixpunkten für die Stellung des Menschen in der Welt. Denn der Mensch braucht Sicherheit, die ihm nur ein Weltbild liefern kann, das seinen Empfindungen entspricht.

Damit begann die moderne Suche nach der Einheit der Natur, die uns bis heute bewegt. Denn die Einheitlichkeit der Naturgesetze gehört zu den grundlegenden Axiomen jeder Naturforschung.

Wären die Gesetzmäßigkeiten der Natur nicht von unerschütterlicher Zuverlässigkeit, würden sie nicht immer und überall gelten, dann wären Naturvorgänge von unvorhersehbaren Zufälligkeiten bestimmt. Die Erforschung der Natur bliebe fragwürdig, und jede Vorausplanung ein Glücksspiel.

Das mechanistische Weltbild
Die Erfolge der Newtonschen Mechanik im 17. Jahrhundert verführten dazu, die Welt mechanistisch zu erklären. Die Pfeiler dieser von der Physik ausgehenden Naturerklärung waren

* Determinismus, also die eindeutige Bestimmtheit alles Geschehens aufgrund von Naturgesetzen.
Dieser strenge Determinismus der Physiker passte gut zu der Prädestinationslehre der Protestanten, und es mag kaum Zufall sein, dass ein Protestant wie Kepler die Gesetze der Planetenbewegung fand, und ein gläubiger Anglikaner wie Newton die Prinzipien der Mechanik entwickelte. Die Ideen der Katholiken Kopernikus, Giordano Bruno und Galilei lehnte ihre Kirche heftig ab.

* Berechenbarkeit, also die Möglichkeit der Vorherberechenbarkeit, sofern nur die betreffenden Naturgesetze und die Anfangsbedingungen bekannt waren.
Der Schöpfer wurde so zum „großen Uhrmacher“, dessen Welt sich mit gleicher Präzision auf vorbestimmten Bahnen bewegte, wie das Räderwerk einer astronomischen Uhr, eines „High- tech“ Produktes seiner Zeit. Für Zufälligkeiten, für Unbestimmbarkeit, ja sogar für die Freiheit ließ dieses Weltbild wenig Raum; so wenig wie absolutistische Regierungen des 17. und 18. Jahrhunderts bürgerliche Freiheiten akzeptieren wollten. Wissenschaftliche Weltbilder spiegeln eben auch die politischen Strukturen ihrer Zeit – oder umgekehrt?

* Reversibilität. Die Gleichungen der Mechanik erlauben es physikalischen Vorgängen auch rückwärts zu laufen, also reversibel zu sein.
Die praktische Erfahrung, dass die Zeit stets nur in einer Richtung abläuft, konnte das mechanistische Weltbild des 18. Jahrhunderts nicht erklären. Erst im 19. Jahrhundert fanden sich im Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz) erste Antworten auf die Frage, warum der Zeitpfeil nur in eine Richtung zeigen kann; ein Problem, das bis heute nicht ausdiskutiert ist. (Vgl. z.B. 5, S.181 f.).
Nicht alle Naturerscheinungen, wie z.B. die Elektrizität, waren mit den Mitteln der Mechanik zu fassen, und die Suche nach der Einheitlichkeit der Naturgesetze musste weitergehen.

Der monistische Ansatz
Monismus im allgemeinen Sinn ist jede Lehre, welche die Vielheit der Welt auf ein einziges Prinzip zurückführt. Im 19. Jahrhunderts vertraten viele Wissenschaftler einen „Materialismus“ genannten monistischen Ansatz, der nur eine einzige Ursache für diese Vielfalt sehen wollte: die Materie.

In dieser Epoche entstanden auch Darwins Theorien vom „Ursprung der Arten“, die sich gut mit den wirtschaftsliberalen Thesen der Zeit vertrugen. „Freie Bahn dem Tüchtigen“ war das Schlagwort, und in der Eroberung des Nordamerikanischen Kontinents konnte man ein Musterbeispiel für den Erfolg der angelsächsischen Freihandelstheorie sehen, die sogar den Opiumkrieg rechtfertigen wollte. Karl Marx schrieb dazu an Friedrich Engels:

„Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluss neuer Märkte, ‚Erfindungen‘ und Malthusschen ‚Kampf ums Dasein‘ wiedererkennt.“

In Deutschland wurde um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine von Ernst Haeckel (1834-1919) propagierte „monistische Philosophie“ bekannt. Haeckel als Biologen konnten mechanistische Ansätze nicht befriedigen, und er glaubte die Einheit der Natur durch die Erhaltungssätze verwirklicht, also im

„Grundgesetz von der Erhaltung der Kraft (Energie) und des Stoffes:
Indem dieses höchste Naturgesetz festgestellt und alle anderen ihm untergeordnet wurden, gelangten wir zur Überzeugung der universellen Einheit der Natur und der ewigen Geltung der Naturgesetze. Aus dem dunklen Substanz-Problem entwickelte sich das klare Substanz-Gesetz. Der ‚Monismus des Kosmos‘, den wir darauf gründen, lehrt uns die ausnahmslose Geltung der ‚ewigen, ehernen, großen Gesetze‘ im ganzen Universum. Damit zertrümmert derselbe aber zugleich die drei großen Zentral-Dogmen der bisherigen dualistischen Philosophie, den persönlichen Gott, die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit des Willens.“ (2, S. 438).

Hier hat Haeckel zu weitgehende Schlussfolgerungen gezogen. Die physikalische und chemische Einheitlichkeit des Universums scheint uns auch heute noch wahrscheinlich, doch die in der Naturwissenschaft vielfach bewährten Erhaltungssätze reichem zum Beweis dieser Einheit ebenso wenig aus, wie sie die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit des Willens widerlegen.

Wahrscheinlichkeit statt Berechenbarkeit
Die einst postulierte strenge Berechenbarkeit ist bei realen Objekten nicht gegeben, und wir müssen uns mit Annäherungen an die Wirklichkeit bescheiden. Schon eine vergleichsweise einfache astronomische Aufgabe, wie das „Dreikörperproblem“, also die Bewegung von drei auf einander einwirkenden Punktmassen (z.B. Sonne, Erde, Mond) ist nicht mehr streng lösbar.

Für die Entwicklung biologischer Lebensformen ist allerdings eine langfristig stabile Umwelt nötig, die – wenn auch nicht absolut determiniert – nur wenig um Mittelwerte schwankende Gleichgewichte bilden muss.
Physiker sprechen vom „deterministischen Chaos“, in dem Information so real ist wie Materie (1), aber die Berechenbarkeit Grenzen hat.

Die modellierten, nichtlinearen Systeme der Chaostheorie werden extrem empfindlich gegen auch nur geringfügige Schwankungen der Anfangsbedingungen. Da diese Anfangsbedingungen aber nie mit absoluter Genauigkeit zu messen sind, kann jede Vorausberechnung nur bedingt verlässlich sein.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen dieser neuen Physik gehört, dass alles mit allem verbunden ist, und dass wir beim Blick in die Zukunft weniger von berechenbaren Fakten als von Möglichkeiten sprechen sollten.

Wer also das Wetter oder die Börsenkurse auch nur mittelfristig vorhersagen will, bewegt sich auf sehr glattem Eis und darf nie vergessen, dass derartige Prognosen trotz Chaostheorie, Großcomputer oder nichtlinearer neuronaler Netze, aufgrund physikalischer Gesetze nicht zuverlässig möglich sind.

Dieses physikalische Weltbild des 20. Jahrhundert passt wieder zu den gängigen Wertvorstellungen des Westens, zu Menschenrechten, Demokratie, Trennung von Kirche und Staat, bürgerlicher Freiheit, Informationsgesellschaft. Auch die holistische (ganzheitliche) Betrachtungsweise der Quantenmechanik harmoniert mit modernen Globalisierungsbestrebungen.
Wen wundert es noch, dass die wissenschaftlichen Fortschritte der letzten Jahrhunderte in laizistischen *) und nicht in religiös-dogmatischen Gesellschaften errungen wurden? Und wie wird man die Einheit der Natur am Ende des 21. Jahrhunderts sehen?

Universell gültige Gesetze regieren das All
Unsere Naturerkenntnis wurde auf einer sehr schmalen Basis gesammelt: räumlich begrenzt auf unsere kleine Erde, zeitlich beschränkt auf die im Vergleich zum Alter des Universums winzige Spanne, in der Menschen den Planeten Erde bewohnen.

Erst seit vergleichsweise ganz kurzer Zeit sind von Menschen geschaffene Geräteträger zu den Planeten vorgedrungen, und der Mensch selbst hat zwar den Sprung zum Erdtrabanten – dem Mond – gewagt, hat aber nur geringe Chancen, während der nächsten Jahrzehnte wenigstens noch den Mars zu erreichen.

Im vollen Bewusstsein der schwachen Basis unserer Naturerkenntnis wenden wir aber unser Wissen auf das All an. Schon in der Antike haben griechische Philosophen den Schritt gewagt, die Gesetze der Geometrie zur Berechnung der Sterne einzusetzen, und es ist ihnen immerhin gelungen, den Umfang der Erde recht genau zu vermessen und einen groben Wert für die Entfernung des Mondes zu finden.

Von 17. Jahrhundert an wurden dann Mechanik und Mathematik für die Bahnberechnungen von Planeten, Monden und Kometen eingesetzt.

Schließlich übertrug die Astrophysik die auf unserem kleinen Planeten entdeckten mathematischen, physikalischen, chemischen Gesetzmäßigkeiten auf das ganze Universum.

Was berechtigt Wissenschaftler, die Geburt des Universums zu schildern, sein Alter anzugeben, oder über die Zukunft des Weltalls zu spekulieren? In erster Linie der Glaube an die in Zeit und Raum unbeschränkte und uneingeschränkte Gültigkeit der Naturgesetze, also die Überzeugung dass die Gesetze, die das Weltall lenken, gleich geblieben sind seit dem Beginn der Welt und unverändert gelten werden, bis zu einem möglichen Ende.

Diese Gesetze geben die Richtlinien vor für die Entwicklung der Welt, sie verbinden die notwendige Gesetzmäßigkeit mit der unentbehrlichen Freiheit, auch der persönlichen Freiheit des Menschen, als Voraussetzung für die Entwicklungsmöglichkeiten der vielen Individuen wie des ganzen Alls.

Niemand weiß, woher diese Gesetze kommen, ob sie schon vor der Geburt der Welt bestanden, oder – wie manche Forscher denken – erst mit ihr entstanden sind.

Vieles spricht dafür, dass es sich um Schöpfungsgesetze handelt, die über der uns sichtbaren Welt stehen und einem uns weit überlegenen Willen entsprungen sind. Für religiöse Menschen ist diese Einheit der Natur ein deutlicher Hinweis auf deren Schöpfer.

Fortsetzung Teil III.

Endnote:
*) Laizistisch = außerhalb des klerikalen Bereiches, besonders die Trennung von Kirche und Staat.

Literatur:
(1) Görnitz, Prof. Dr. Thomas „Quantentheorie und Führungskräfte der Wirtschaft“, Vortrag am 1.7.2000 in München.
(2) Haeckel, Ernst „Die Welträtsel“, Emil Strauß, Bonn 1899.
(3) Hagl, Siegfried „Auf der Suche nach einem neuen Weltbild“, Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart 2002.
(4) do. „Wenn es kein Wunder war“ Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart 2000.
(5) Hawking, Stephen W. „Eine kurze Geschichte der Zeit“, Rowohlt, Hamburg 1992.
(6) Weizsäcker, Carl Friedrich v. „Die Einheit der Natur“, Carl Hanser, München 1982.