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Wissenschaft

Der Venusdurchgang

(Veröffentlicht in GralsWelt 31/2004)

Ein seltenes astronomisches Ereignis
Am 8. Juni 2004 und danach am 6. Juni 2012 steht uns ein seltenes astronomischen Phänomen bevor: Die Venus wird, von der Erde aus sichtbar, an der Sonnenscheibe vorbeiziehen.

Ein solcher „Venusdurchgang“ setzt voraus, dass sich die Venus bei der Konjunktion Sonne/Venus an einem Knoten *) ihrer Umlaufbahn befindet. Das geschieht in Zyklen von 243 Jahren nur viermal, und dann jeweils zweimal hintereinander. Der letzte Venusdurchgang war 1882, im 20. Jahrhundert gab es keinen, und der nächste am 8. Juni 2004 hat die folgenden Zeiten:

Eintritt: 7:20:45 MESZ (mitteleuropäische Sommerzeit)
Austritt: 13:03:10

Wer seine dunkle Schutzbrille seit der Sonnenfinsternis von 1999 aufgehoben hat, kann die Venus als kleinen, dunklen Punkt über die Sonnenscheibe wandern sehen; von einer Beobachtung mit ungeschützten Augen ist dringend abzuraten.

Besser wäre ein Teleskop, selbstverständlich mit passender Sonnenblende. Eine Betrachtung der Sonne mit einem Fernglas oder Teleskop ohne geeignete Sonnenfilter kann zur Erblindung führen.
Diese seltene Himmelserscheinung veranlasst uns, in der Geschichte zurückzublicken, und von Venusdurchgängen der Vergangenheit zu erzählen.

Die Bedeutung für die Sternkunde
Der durch seine Berechnung des Halley’schen Kometen berühmt gewordene Edmund Halley (1656-1742), ein Freund Isaak Newtons, erkannte, dass durch exakte Beobachtung eines Venusdurchganges von verschiedenen Orten der Erde, die Entfernung der Sonne zu ermitteln sei, die damals noch nicht exakt bekannt war.

Die Distanz Erde-Sonne ist eine Grundeinheit der Astronomie, deren genaue Kenntnis von größter Bedeutung ist für astronomische Berechnungen, die astronomische Navigation usw.

Zugleich wusste Halley, dass er die nächsten Venusdurchgänge in den Jahren 1761 und 1769 nicht mehr erleben würde, und deren Beobachtung seinen Nachfolgern überlasen müsste.

Frühere Venusdurchgänge hatten vor Halley’s Geburt, z.B. in den Jahren 1631 und 1639, jeweils im Dezember stattgefunden. Deren Beobachtung unterblieb, weil sie von Europa aus nicht sichtbar waren, und auf der anderen Hemisphäre keine Astronomen mit geeigneten Instrumenten weilten.

Als der nächste Durchgang im Juni 1761 erfolgte, waren nur wenige, unbefriedigende Messungen möglich. Europa war mitten im Siebenjährigen Krieg (1756-63). Dieser war nicht nur ein europäischer Krieg, denn der Kampf zwischen England und Frankreich erstreckte sich auch auf Kolonialgebiete; eigentlich war es schon ein Weltkrieg.

Außerdem fehlte noch die Erfahrung im Umgang mit den neuen optischen Instrumenten. Einige russische und schwedische Forscher reisten nach Norden, und ein Engländer wollte von Indien aus beobachten; er kam jedoch nur bis zur Kapkolonie, weil sein Schiff in ein Gefecht mit einem französischen Kriegsschiff geriet und beschädigt wurde.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Messung der Distanz Erde-Sonne bei einem Planetendurchgang sind Messungen an mindestens zwei Punkten der Erdoberfläche, die jeweils möglichst weit im Norden bzw. Süden auseinander liegen sollen.

Im Zeitalter der Wissenschaft
Nach dem Siebenjährigen Krieg ergaben sich gute Voraussetzungen für eine internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit. Viele Menschen waren in der Epoche der Aufklärung an naturwissenschaftlichen Fragen interessiert, und im Zeitalter der großen Seefahrer konnte niemand am Nutzen astronomischen Wissens für die Navigation zweifeln.

Nicht zuletzt spürten auch die Monarchen, dass sie viel zu viel Geld für Krieg und Zerstörung ausgegeben hatten, und es nun an der Zeit wäre, auch etwas für friedliche Ziele zu tun; eine ähnliche Situation wie nach dem Zweiten Weltkrieg: 1957 begann das „Internationale Geophysikalische Jahr“, in dem 67 Länder in gemeinsam veranstalteten Forschungsunternehmen zusammenarbeiteten.

Auch nach dem Siebenjährigen Krieg fanden sich Fürsten und reiche Kaufleute, die als Mäzene Forschungsreisen unterstützten. Auf einige der bemerkenswerten abenteuerlichen Forschungsfahrten im Rahmen der ersten konzertierten wissenschaftlichen Aktion, der weltweiten Beobachtung des Venusdurchganges, wollen wir eingehen:

Expedition San José
Eine französisch/spanische Expedition reiste nach Mittelamerika. Die wissenschaftliche Leitung hatte Jean-Baptiste Chappe Auteroche (1722-1769), Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. Für die Schiffsführung waren zwei spanische Seeoffiziere (Doz und Medina) verantwortlich. Im Dezember 1768 begann die Reise in Cadiz. In 77 Tagen wurde der Atlantik überquert und in Mexiko gelandet. Nun führte ein Gewaltmarsch von 1.500 km über Mexico City und die schwer zugängliche Sierra Madra zum Pazifik. Dort ging es weiter mit einem Postschiff zur franziskanischen Mission San José an der Baja California.

Hier mussten die Instrumente aufgestellt und justiert, die genauen Ortskoordinaten und die Ortszeit bestimmt werden usw.

Dann brach eine Seuche aus, und die Spanier wollten San José verlassen. Chappe wusste, dass für einen Stellungswechsel die Zeit nicht reichte, und blieb mit seiner Mannschaft. Die wichtigen Messungen des Venusdurchganges konnte er dann bei klarem Wetter und extremer Hitze gut durchführen.

Danach wurde die Forschergruppe von der Krankheit (vermutlich Cholera) befallen, die 19 von 28 Expeditionsteilnehmern, darunter auch Chappe, fern der Heimat dahinraffte.

Expedition Vardö
Der Jesuitenpater Maximilian Hell (1720-1792) erhielt eine Einladung des Dänischen Königs, nach dem (damals dänischen, heute norwegischen) Vardö an der Barentssee zu reisen.

Zu Lande und zu Wasser kämpften Hell und seine Begleiter sich zum äußersten Norden durch und überwinterten bei großer Kälte in der abgelegenen Siedlung. Hells Hauptsorge galt den wertvollen Instrumenten, die er vor Schäden durch die Kälte schützen musste; so füllte er z.B. die Libellen der Wasserwaagen mit hochprozentigem Alkohol, damit sie nicht einfrieren und platzen konnten.

Als der große Tag kam, hatte er Glück mit dem Wetter, weil die Wolken gerade noch rechtzeitig aufrissen, und eine gute Beobachtungen erlaubten.

Georg Lowitz
Ein schlimmes Schicksal traf den Göttinger Wissenschaftler Georg Lowitz, den Katharina II. (1729-1796) ans Kaspische Meer sandte, um dort den Venusdurchgang zu beobachten.

Aufständige Kosacken nahmen ihn als Landvermesser der Zarin gefangen und ermordeten ihn auf grausame Weise.

Beobachtungen auf Tahiti
Auch der berühmte Entdecker James Cook (1728-1779) wurde in Begleitung des Astronomen Charles Greene mit der Endeavour ausgesandt, einem umgebauten Kohlenschiff von nur 370 t. Nach der Durchquerung des Atlantik und der Umrundung von Kap Horn landete die Expedition am 13. April 1769 in Tahiti.

Die Venusbeobachtungen konnten bei klarem Himmel erfolgen.
Auf der Rückreise, die Greene nicht überlebte, wurde die Südsee (Neuseeland, Australien) erforscht, und am 12. Juli 1771 England glücklich erreicht.

Das große Rechnen
Nachdem die Daten der verschiedenen Beobachter vorlagen, konnte die Auswertung beginnen. Insgesamt lagen Messungen von 151 Wissenschaftlern vor, die an 77 Stationen gearbeitet hatten.

Das Ergebnis war nicht unbefriedigend. Für die Sonnenparallaxe **) wurde ein Wert zwischen 8 ½ und 10 ½ Bogensekunden ermittelt (heutiger Wert 8,80 Bogensekunden). Für die Wissenschaftler war das aber noch nicht genau genug.

Um exaktere Ergebnisse zu erhalten, mussten die nächsten Venusdurchgänge in den Jahren 1874 und 1882 abgewartet werden.

Dann konnte mit wesentlich verbesserter Technik endlich fast genau der heute noch gültige Wert für die Distanz Erde-Sonne ***) bestimmt werden.

In unserer Zeit haben die Venusdurchgänge ihre sensationelle Bedeutung für die Planetenastronomie zum großen Teil verloren, doch sollte kein Sternenfreund auf die Gelegenheit verzichten, dieses seltene Naturschauspiel zu erleben.

Endnoten:
*) Knoten: Schnitt der Bahn eines Himmelskörpers mit der scheinbaren Bahn der Sonne (= Ekliptik ), jeweils von der Erde aus gesehen.
**) Parallaxe: In unserem Fall der Winkelunterschied der sich ergibt, wenn ein Objekt (z.B. die Sonne oder der Mond) zum einen vom Äquator und zum anderen von einem Pol aus gemessen wird, also die „Äquatorialhorizontel-Parallaxe“.
***) Heutiger Wert 149.579.870 km.
Literatur:
(1) Herrman, Joachim „dtv-Atlas zur Astronomie“, Deutscher Taschenbuchverlag, München 1973.
(2) Littrow, Jos. Joh. / Stumpff, Karl „Die Wunder des Himmels“, Ferd. Dümmler, Bonn 1969.
(3) Schmidt, Arno „Das schönere Europa“, Werke II/1, Hoffmannsverlag 1989.
(4) „Wettlauf zur Venus“, Film des ZDF in der Reihe „Expeditionen“, gesendet am 16. 4. 2001, 19.30 h.