(Veröffentlicht in GralsWelt 44/2007 Seite 66)
Religionswissenschaftler gehen davon aus, dass Religionen seit Beginn der Menschheitsgeschichte die Kulturentwicklung begleiteten. Religiöses Empfinden ist demnach ein wesentlicher Teil der spezifisch menschlichen Eigenschaften, und findet seinen Ausdruck z.B. in Mythen und Ritualen. Religiosität gehört auch zu den grundlegenden menschlichen Antrieben, die Gesellschaften und Kulturen formen. Religiosität erscheint daher als ein wichtiges Kriterium, das den Menschen vom Tier unterscheidet.
In der Esoterik-Szene herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass Schamanismus und Magie, oder auch der „Kult der großen Mutter“, wie ihn z.B. Auel (1) in ihren Bestsellern beschreibt, seit Zehntausenden, vielleicht seit Hunderttausenden von Jahren den Menschen auf seinem Weg der kulturellen Entwicklung begleiten.
Erst in jüngerer Zeit wurden auch solche, lange als selbstverständlich geltende Annahmen hinterfragt und „natürliche“ Hypothesen für den Ursprung der Religionen gesucht. Diese sollen mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild verträglich sein und das „Übersinnliche“ ausschließen. Manchmal werden ungewöhnliche Vorstellungen in Betracht gezogen; z.B. dass es sich bei den „Göttern“ um Astronauten handeln könne, die aus einer der unseren weit überlegenen Zivilisation kamen. Gelegentlich gibt es auch exzentrische Ansätze, die einige Beachtung verdienen.
So hat der bekannte Astrophysiker Fred Hoyle (1915-2001), der sich selbst einen Atheisten nannte, eine originelle Hypothese vorgetragen. Als ein dem aufgeklärten Skeptizismus verpflichteter Naturwissenschaftler und mutiger Querdenker sucht er die Ursachen für das Entstehen von Religionen nicht im Transzendenten, sondern im Kosmos:
Die Erde im Kataklysmus
Ausgangspunkt für die Überlegungen von Fred Hoyle ist eine Annahme von Clube und Napier (3). Demnach wäre vor etwa 20.000 Jahren ein Riesenkomet in Sonnennähe gelangt; und zwar auf einer die Erdbahn kreuzenden Ellipse, mit einer Umlaufzeit von ca. 1.600 Jahren. Bei mehreren Nah-Vorbeigängen an der Sonne wurde der gigantische Komet durch deren Gravitationskräfte in viele, kleinere und größere Teile zerlegt, die sich entlang seiner Umlaufbahn verteilten. Geriet in der Folgezeit die Erde in einen Teil der Kometenbahn, auf dem sich größere Bruchstücke häuften, gab es dabei nicht nur beeindruckende Sternschnuppenfälle, sondern apokalyptische Meteorstürme, die möglicherweise bereits vorhandene Hochkulturen vernichteten.
Seit der Antike wird von regelmäßig wiederkehrenden Großkatastrophen gesprochen – den sog. „Kataklysmen“ – die damit ihre Erklärung fänden.*)
In der GralsWelt haben wir mehrmals davon gesprochen, dass unserem Planeten Gefahren aus dem All drohen („Der Tod aus dem All“), die in alten Zeiten gefürchtet, doch im naturwissenschaftlichen Zeitalter der Aufklärung für unbegründet gehalten wurden. Dass es solche Impakte in der Erdgeschichte gegeben hat, ist heute allgemein akzeptiert. Diskutiert wird allerdings noch über Häufigkeit und Daten solcher Katastrophen. Noch fehlt in unseren Geschichtsbüchern der Nachweis, dass Brüche in der kulturellen oder zivilisatorischen Entwicklung, dass der Untergang von Großreichen (sogar in nachchristlicher Zeit), auf Impakte oder auch große Vulkanausbrüche zurückzuführen sein könnten.
Kampf der Götter am Himmel
Und so sieht Fred Hoyle den Ursprung der Religionen:
„Clube und Napier führen den Aufstieg und den Niedergang von Zivilisationen auf die Bündelung Tunguska-ähnlicher Ereignisse zurück, den Niedergang während der kürzeren, schlechten Perioden starker Einschläge, und den Aufstieg während der weitaus längeren, einschlagsfreien Zeiträume. In den schlechten Perioden entstanden Religionen mit strenger und dunkler Grundstimmung, während in den längeren freien Intervallen die vorherigen strengen und düsteren Vorstellungen abgemildert und zwangloser wurden. Clube und Napier nehmen an, dass die Auflösung ihres gigantischen Kometen ihr Maximum vor sechs bis siebentausend Jahren erreichte, als die Verdampfung der flüchtigen Anteile spektakuläre Erscheinungen am Nachthimmel erzeugt haben musste, mit bis zu vielen Tausenden kometengroßer Körper, die Gasströme und kleine Teilchen nach Art der Kometenschweife ausstießen. Dieses brillante Schauspiel am Nachthimmel löste im Verein mit den Einschlägen auf der Erdoberfläche den Glauben der Kulturen des Altertums an die Kriege der Götter aus, wobei die Einschläge als fehlgeleitete Schüsse dieses Kampfes gedeutet wurden. Mit dem Abschluss der Verdampfung endete der Krieg. Nach dem Verschwinden der kleineren Objekte blieb ein deutlich sichtbarer Himmelskörper übrig, der weiterhin Teilchenströme ausstieß. Dieses letzte Objekt wurde zum legendären Götterkönig Zeus, der am Ende mit seinen Blitzen die anderen Götter besiegt hatte.“ (7, S. 74/75).
In dieser Kette kosmischer Katastrophen, deren Auswirkungen er in seinem Buch noch weiter ausführt, findet Fred Hoyle plausibel scheinende Erklärungen für den „Götterkampf“ der Alten Griechen. Auch die „Kämpfe Außerirdischer“, die in vielen – vor allem indischen – Überlieferungen berichtet werden, und die heute gerne auf Astronauten bezogen werden, würden ebenso in dieses Bild passen wie der „Kampf im Himmel“, der in der Bibel geschildert wird (Offb. 12,7-12).
Ist dieser hypothetische Komet, der sich gut mit anderen Impakt-Theorien, z.B. von Tollmann (10) verträgt, wirklich der Anlass für das Entstehen von Religion und Kult? War der Versuch, durch Besänftigung der übermächtigen Götter Unheil von Menschen und Erde abzuwenden, der Grund für das Entstehen von Opfern, Kulten, Ritualen und einer Priesterkaste? Sollte man Bemühungen, Gottheiten zu bestechen, überhaupt Religion nennen? Oder gab es Religionen schon viele Jahrtausende vor der Eiszeit, vor dem (möglichen) Erscheinen des hypothetischen Großkometen, vor den vermutlich in der „Großen Flut“ untergegangenen vorgeschichtlichen Hochkulturen? Ist Religion als solche – nicht als Konfession – sogar ganz unabhängig von Lehre, Ritus, Kultur, Zivilisation?
Wie erkennt man Religiosität?
Die Suche nach dem Religiösen in vorsintflutlicher Zeit gestaltet sich schwierig. Denn wo keine schriftlichen Aufzeichnungen vorhanden sind, geben archäologische Funde nur einen sehr bedingten Einblick in das Denken und Wollen der Menschen. Glaube, Religion, religiöse Erfahrung gehören ja zum intimsten, persönlichsten Erleben eines Menschen, das sich besonders schwer in festen Formeln mitteilen lässt. Wie aber erkennt man Religionen, Kulte, Mythos und magische Praktiken aus spärlichen archäologischen Funden? Vielleicht in der Kunst?
Nach heutigem Wissen waren die Menschen vor 50 oder gar 100 Tausend Jahren körperlich weitgehend so entwickelt und kaum weniger intelligent als wir heute. Religionswissenschaftlern scheint es daher selbstverständlich, dass auch diese Menschen Religionen hatten:
„Wenn der Altsteinzeitmensch als ‚vollwertiger Mensch‘ gelten kann, so folgt daraus, dass er auch eine Anzahl von Glaubensvorstellungen besaß und bestimmte Riten praktizierte. Denn die Erfahrung des Heiligen ist ein Element der Bewusstseinsstruktur. Wenn also die Frage nach ‚Religiosität‘ oder ‚Nicht-Religiosität‘ des vorgeschichtlichen Mensch gestellt wird, so ist es Aufgabe der Verfechter der ‚Nicht-Religiosität‘, Beweise zur Stützung ihrer Hypothese vorzulegen….
Aber auch wenn man heute übereinstimmend zur Auffassung gelangt ist, dass der Altsteinzeitmensch eine ‚Religion‘ besaß, so ist es doch schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich, deren Inhalt genau zu bestimmen. Doch verfügen wir über eine Anzahl von ‚Beweis-Dokumenten‘ über das Leben der Altsteinzeitmenschen, und es besteht die Hoffnung, daß eines Tages ihre religiöse Bedeutung entschlüsselt werden kann.“ (5, S. 17).
Doch wie sehen die Beweise für die Religiosität des Urmenschen aus? Fragen wir zuerst nach den Unterschieden zwischen Mensch und Tier, in der Annahme dass Religiosität dem Menschen vorbehalten sei.
Gebrauch des Feuers
Seit mindestens 500.000, vielleicht schon seit 1,8 Millionen Jahren kannten Urmenschen das Feuer, als erste nutzbare Naturkraft. Dadurch hoben sie sich eindeutig von Tier ab. Mythen, deren Ursprung nicht mehr nachzuweisen ist, beschäftigen sich mit dem „Gott“ oder „Halbgott“, der einst das Feuer von Himmel holte und dem Menschen dienstbar machte, und schreiben dem Feuer geheimnisvolle Kräfte zu. Bis in unsere Zeit hat es kultische Bedeutung (z.B. im Zoroastrismus, in den Kerzen, die in unseren Kirchen brennen, den Räucherstäbchen der Buddhisten, den „ewigen Flammen“ mancher Mahnmale, usw.).
Anfertigung von Werkzeugen
Werkzeuge werden gelegentlich auch von Tieren benützt, die allerdings kaum Werkzeuge herstellen können. Einfache Steinwerkzeuge wurden von Frühmenschen schon vor 2,5 Millionen Jahren angefertigt, spätestens seit 400.000 Jahren gab es höher entwickelte Geräte (z.B. Speere), zu deren Anfertigung Werkzeuge erforderlich waren. Die Herstellung von Werkzeugen um damit wieder Werkzeuge anzufertigen, ist sicherer Ausdruck einer entwickelten menschlichen Kultur, aber kein Beweis für religiöses Empfinden.
Beerdigungen
Nach Ansicht von Religionswissenschaftlern bestätigen „Bestattungen den Glauben an ein Weiterleben … Die nach Osten ausgerichtete Position verrät die Absicht, das Geschick der Seele mit dem Lauf der Sonne zu verbinden, also die Hoffnung auf eine ‚Wiedergeburt‘, d.h. auf ein Weiterleben, in einer anderen Welt …“ (5, S. 22). Beisetzungen sind seit mindestens 50.000 Jahren nachgewiesen, und Grabbeigaben (Schmuck, Werkzeuge, Speisen, Blumen) lassen auf Bestattungsriten und damit mit großer Wahrscheinlichkeit auf religiöse Ideen schließen.
Wandmalereien
Umstritten ist die Bedeutung der Höhlenmalereien: Handelt sich um Abbildungen, Symbole, Jagdzauber, sympathetische Magie, den Ausdruck kultischer Handlungen? Waren die Höhlen Heiligtümer oder Kultstätten?
Mit Fellen, Masken, Geweihen verkleidete Jäger, wie sie in einigen Höhlen abgebildet sind, ähneln dem Erscheinungsbild sibirischer Schamanen und geben Anlass zu Vermutungen, dass der Schamanismus, also eine frühe Form des Priestertums, schon vor Zehntausenden von Jahren verbreitet war.
Religiöse Riten und Mythen
Spuren von Rundtänzen, z.B. in Montespan, legen die Vermutung nahe, dass die bis heute in Jägervölkern weltweit verbreitete rituelle Choreographie schon den Altsteinzeitmenschen bekannt war. Derartige Tänze wurden und werden von Jägern praktiziert, um die Seele des erlegten Tieres zu versöhnen, oder auch die Vermehrung des Wildes zu sichern. Anscheinend haben sich manche religiösen Ideen der Altsteinzeitjäger bis in unsere Zeit erhalten. (5, S. 35).
Kultfiguren
Umstritten ist die Deutung figürlicher Darstellung, wie z.B. der Venus von Willendorf. Ist sie ein Fruchtbarkeitssymbol, die Darstellung der Urmutter, oder – am wenigsten wahrscheinlich – ein Sexual-Symbol?
Jagdrituale
Uralte Jagdrituale, Bärenbestattungen und Schädelschichtungen lassen religiöse Vorstellungen vorgeschichtlicher Jäger vermuten:
„Mythen über den Ursprung der Tiere und die religiösen Beziehungen zwischen Jäger, Wild und Herrn der Tiere erscheinen verschlüsselt sehr oft im ikonographischen Repertoire des Altsteinzeitmenschen. Außerdem ist eine Jägergesellschaft ohne Mythen über den Ursprung des Feuers kaum vorstellbar…“ (5, S. 36).
Rezente Steinzeitmenschen
Gelegentlich wird versucht, aus den Mythen und Kulten von Gruppen, die bis ins 20. oder 21. Jahrhundert auf steinzeitlicher Kulturstufe überleben konnten, auf die Religion der Urmenschen zu schließen. Durch Mythenforschung, Linguistik, Psychologie konnte man allerdings kaum weit genug in die Vergangenheit eindringen, und z.B. belegen, dass Schamanismus oder der Kult der Großen Mutter Urreligionen der Menschheit sind.
Seit wann gibt es religiöse Kulte?
Religionen sind der Versuch, die sehr persönliche religiöse Erfahrungen in ein System von Regeln und Ritualen zu fassen. Häufig treten noch Seher, Schamanen, Zauberer, Wahrsager, Geistheiler, Priester auf, die für sich erhöhtes Wissen, vertiefte Einblicke in die Anderswelt, also Jenseitskontakte, in Anspruch nehmen, und Kulte, Riten, Opfer, Zeremonien leiten.
Religiöses Erleben gehört zum Wesen des Menschen; es hat ihn wahrscheinlich vom Beginn der Menschwerdung an begleitet. Beobachtbar sind allerdings nur materielle Manifestationen dieses inneren Erlebens, der religiösen Erfahrung. Aus altsteinzeitlichen Fundstücken auf die Glaubensformen des Urmenschen zu schließen, scheint daher wenig aussichtsreich, und alle derartigen Ansätze bleiben wohl Hypothesen. Leider haben Archäologen eine gewisse Neigung, Gegenständen, deren Verwendung ihnen unklar ist, kultische Bedeutung zuzuschreiben, was die Suche nach den Wurzeln des Glaubens komplizierter macht als vielleicht nötig.
So wird sich kaum je nachweisen lassen, wie lange es schon Religionen gibt. Es bleibt jedem überlassen, ob er sich mit Erklärungen zufrieden gibt, die zum Weltbild der exakten Wissenschaften passen, oder ob er in selbstbestimmtem Empfinden als Wahrheit erkennt, dass die Welt nicht nur aus dem jeweils Sicht- und Greifbaren besteht, und dass religiöses Erleben zu den Ur-Fähigkeiten der Menschheit zählt.
Endnote:
*) Vgl. „Der rätselhafte Planet X“ in „Kurz, knapp, kurios“ Seite 9.
Literatur:
(1) Auel, Jean, M., Ayla und der Stein des Feuers, Heyne, 2002, und weitere Bände der „Ayla“-Reihe.
(2) Burkert, Walter, Anthropologie des religiösen Opfers, Friedrich v. Siemens Stiftung, München 1983.
(3) Cube, Victor/Napier, Bill, The Cosmic Winter, Basil Blackwell, Oxford, 1990.
(4) Eliade, Mircea, Das Heilige und das Profane, Insel, Frankfurt, 1998.
(5) Eliade, Mircea, Geschichte der religiösen Ideen, Band 1, Herder, Freiburg 1978.
(6) Hancock, Graham/Faiia, Santha, Spiegel des Himmels, Lichtenberg, München 1998.
(7) Hoyle, Fred, Kosmische Katastrophen und der Ursprung der Religionen, Insel., Frankfurt, 1997.
(8) Starhawk, Der Hexenkult als Ur-Religion der Menschheit, Goldmann, München 1992.
(9) Steinbart, Hiltrud, Im Anfang war die Frau, R. G. Fischer, Frankfurt. 1983.
(10) Tollmann, Alexander und Edith, Und die Sintflut gab es doch, Droemer-Knaur, München, 1993.
(11) http://www.editorsnet.de/evo/werkzeuge/tools2.htm.
(12) http://www.willinghp.de/evo/thema/feuer.php.