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Religionsgeschichte

Der Kult der großen Mutter

(Veröffentlicht in GW 46/2007)

Gab es lange vor dem patriarchalisch geprägten Monotheismus (Eingottglauben) einen religiösen Kult um die „große Mutter“, eine höchste weibliche Gottheit? Und gewährleistete die Kultur, die sich unter ihr entwickelte, ein harmonisches, friedliches Zusammenleben in einem „goldenen Zeitalter“? Hier fassen wir die Forschungen zu dieser Frage zusammen und beschreiben auch die Bedeutung von Frauengestalten in der christlichen Tradition.

In den heute tonangebenden monotheistischen Religionen dominiert die Vorstellung von einem „männlichen“ Gott, neben dem, oder besser unter dem, alle anderen höheren Wesen verblassen oder dahinschwinden. Die einst so wichtigen heidnischen Göttinnen und Götter sind von diesen Religionen ins Reich der Fabel verwiesen, oder sie sind untergebracht im Gefolge des „Widersachers“, des Bösen. Das galt lange als Ausdruck religiösen Fortschritts, in dessen Verlauf sich die geistige Erkenntnis von primitiven, dämonischen Ritualen über Animismus, Pantheismus und die Vielgötterei (Polytheismus) zum Monotheismus emporgeschwungen haben soll.

Dass der höchste, einzige, alleinige Gott der Monotheisten mit männlichen Attributen versehen ist, gilt Lesern von Bibel oder Koran aus Gewohnheit als selbstverständlich. Denn Herrschaft ist nun einmal gleichbedeutend mit Patriarchat. Matriarchalische Gesellschaftsstrukturen gelten auch in der Soziologie meist als Ausdruck einer primitiveren Zivilisationsstufe. Heute gibt es mutterrechtlich organisierte Gemeinschaften nur noch selten und in kleinsten Gruppen, zum Beispiel bei den chinesischen Mosu.

Im 21. Jahrhundert stellen Feministinnen den „männlichen“ Gott in Frage und schreiben zum Beispiel die Bibel in der Weise um, dass Gott weiblich erschein.t (4).
Bei allem Verständnis für deren Angriffe auf unsere noch immer ziemlich patriarchalische Gesellschaft ist diesen Feministinnen doch der Gedanke entgangen, dass der Schöpfer des Himmels und der Erde weder Mann noch Frau sein könnte, sondern weit über und jenseits dieser „Artspaltung“ stehen muss.

Das weibliche Element im Monotheismus
Bei aller Konzentration auf den einzigen Gott konnten die (männlichen) Priester monotheistischer Religionen das weibliche Element aus ihrer Theologie nicht ganz verdrängen.

Im Judentum bekam die Schechinah (Shekina) manchmal eine weibliche göttliche Dimension. Ein Kultbaum oder ein Bild der Fruchtbarkeitsgöttin Aschera (Richt. 6,25 und 30) – deren Verehrung in der Bibel mehrfach gegeißelt wird, die aber in Israel zeitweise als Ehefrau von Jahwe galt – stand bis 586 v. Chr. im Jerusalemer Tempel. (5). Lilith, ursprünglich vielleicht eine Gottheit (nach antiker jüdischer Tradition und bei Goethe Adams erste Frau), wurde zum Nachtgespenst. (Jes. 23,14). Prophetinnen und Heldinnen (wie Deborah, Ruth und Judith) werden bis heute verehrt.

Im christlichen Glauben erhielt die in den ersten Jahrhunderten wenig beachtete Maria von Nazareth einen göttlichen Rang: Interessanterweise in Ephesus – in der vorchristlichen Antike das Zentrum eines berühmten Diana-Kultes – erklärte das Dritte Ökumenische Konzil im Jahr 421 Maria zur „Gottesgebärerin“ (Theotokos). Der Aufstieg der Mutter Jesu zur Himmelskönigin und wichtigsten weiblichen Heiligen, gleich nach der Trinität, war kirchenrechtlich besiegelt. Nach und nach verschmolzen mit ihrem Bild viele Attribute der einstigen Mutter-Göttin, der Großen Mutter, der Inanna, Isis, Ischtar, Astarte, Kybele, Diana (Artemis) usw.

In der christlichen Mystik entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte das Bild männlicher und weiblicher Tugenden: Sophia (Weisheit), die Große Göttin, vereint in sich drei Töchter oder drei Tugenden, die der Seele durch Offenbarungen eingegossen werden: Glaube, Liebe, Hoffnung.
Anders die (männlichen) Kardinaltugenden, die selbst erworben werden: Starkmut, Klugheit, Gerechtigkeit und Mäßigung (3, S. 308).

Am konsequentesten wurde das weibliche Element im Islam verdrängt, doch haben sich sogar in den Koran weibliche Gottheiten eingeschlichen*).  Wie gemäß dem Alten Testament, wurde auch laut Koran der Mann als erster erschaffen, die Frau ist nur die Gefährtin des Mannes, und die Männer sind die Verantwortlichen über die Frauen. (Sure 4, 34).

30.000 Jahre alte Frauen-Plastiken
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde von Feministinnen ein neues Bild der Kultur- und Religionsgeschichte entworfen, besonders aufgrund der Forschungen der Archäologin Marija Gimbutas (1921-1994).
Demnach gehören zu den ältesten Plastiken Frauenfiguren, die 20.000 bis 30.000 Jahre alt sind und in denen Darstellungen der Lebensspenderin vermutet werden. Diese Göttin des Paläolithikums (Altsteinzeit), des Neolithikums (Jungsteinzeit), beziehungsweise der Bronzezeit ist angeblich parthenogenetisch, das heißt, sie schafft Leben aus sich selbst heraus. Sie ist die ursprüngliche, jungfräuliche Göttin, die „große Mutter“, die sich in verschiedenen Formen über die Antike bis zum heutigen Tage erhalten hat.

Die Deutung der archäologischen Funde lässt vermuten, dass die Göttin in vielen Spielarten auftritt: lebenspendende und gebärende Mutter, Herrin der Tiere und Pflanzen, Mutter Erde (bei Ackerbauern), ambivalente Vogelgöttin, Schlangengöttin (die Schlange, die sich häuten kann, war das Symbol für die Kontinuität des Lebens), Göttin des Todes und der Lebenserneuerung usw.

Als das Yin noch nicht vom Yang beherrscht wurde
„Wir alle kennen die Legenden über eine längst vergangene Zeit der Harmonie und des Friedens. Die Bibel berichtet von einem Garten, in dem Frau und Mann mit sich und der Natur in Eintracht lebten – bis ein männlicher Gott verfügte, die Frau habe fortan dem Manne untertan zu sein. Das chinesische Tao-te-ching beschreibt eine Zeit, da das Yin, das weibliche Prinzip, noch nicht vom männlichen Yang beherrscht wurde, eine Zeit, in der die Weisheit der Mutter noch geachtet und vor allem befolgt wurde. Der altgriechische Dichter Hesiod spricht von einer ‚goldenen Rasse‘, die ‚friedlich und heiter‘ die Erde pflügte, bevor eine ‚mindere Rasse‘ ihren Kriegsgott einführte. Doch wenngleich sich die Wissenschaft darin einig ist, dass die genannten Werke in vielen Einzelheiten auf tatsächlichen Ereignissen beruhen, gibt es eine lange Tradition, alle Verweise auf eine Zeit, da Frauen und Männer in Partnerschaft lebten, als bloße Phantasie abzutun.“
Riane Eisler. (Aus: „Kelch und Schwert“, Goldmann, München, 1987, S. 17).

Ein goldenes Zeitalter unter der „Großen Mutter“?
Folgt man dieser Geschichtsbetrachtung, dann gab es unter der Herrschaft der Göttin eine entwickelte Kultur:

„Die zahlreichen Heiligtümer von Catal Hüyük sind Zeugnisse einer hochentwickelten Religion samt dazugehörigem Symbolismus und vollständiger Mythologie; die Bauwerke stellen die Wiege der Architektur und bewusster Stadtplanung dar; die Wirtschaft verrät einen hohen Entwicklungsstand von Ackerbau und Viehzucht, und die zahlreichen Importwaren belegen einen florierenden Handel mit Rohstoffen“. (6, S. 47).

Diese „Zivilisation des Alten Europas“ breitete sich zwischen 7.000 und 5.000 v. Chr. von der heutigen Türkei, der Ägäis und Adria (einschließlich der Inseln) bis Südpolen und zur Ukraine aus. Ein oft genanntes Zentrum des Kultes der Großen Mutter ist Kreta. Auch die bekannten Tempelanlagen auf Malta und Gozo, die zu den ältesten Sakralbauten im Mittelmeerraum zählen, waren angeblich der „Magna Mater“ (Große Mutter) geweiht.
Diese alteuropäischen Kulturen waren demnach mutterrechtlich organisiert, ohne die Männer zu benachteiligen. Vor allem waren sie friedlich. Es gab keine großen Klassenunterschiede, auf Befestigungsanlagen konnte man verzichten, und die Siedlungen an landschaftlich reizvollen Orten errichten.
Derzeit ist noch kaum schlüssig zu belegen, inwieweit dieses Idealbild eines goldenen Zeitalters zutrifft, in dem in der Anbetung der Großen Mutter vereinte Menschen harmonisch und friedlich zusammenlebten.
Natürlich gibt es auch Vorbehalte: So soll es zum Beispiel Menschenopfer für die Göttin und andere Grausamkeiten gegeben haben. Bleibt die Frage, warum diese so harmonisch dargestellte Ur-Zivilisation unterging.

Ovids goldenes Zeitalter
„Erstes Alter war das goldene. Ohne Gesetz und Sühner wahrte aus eigenem Trieb es die Treu und das Rechte. Fern war Straf und Furcht, man las nicht in ehernen Tafeln drohende Worte gereiht, es fürchtete nicht ihres Richters Mund die flehende Schar, kein Fürsprech musste sie schützen. Noch war die Föhre, gefällt, um den fremden Erdkreis zu schauen, nicht von der Höh‘ ihrer Berge hinab in die Fluten gestiegen; außer dem eigenen kannten die Sterblichen kein Gestade. Noch umschloss da nicht ein steiler Graben die Städte, Tuba und Hörner, gestreckt aus Erz und gewogen, und Helme, Schwerter waren da nicht; und keiner Krieger bedürfend, lebten die Völker dahin, in sanfter, sicherer Ruhe.“
Naso Publius Ovidius. (Aus: „Metamorphosen“, DTV-Artemis, München, 1990, S. 29 f.).

Eine Revolution durch die Verwendung von Metallen
Im 4. Jahrtausend vor Christus begann die Verwendung von Metallen; eine entscheidende technische Entwicklung, die unser Leben bis heute bestimmt. Zuerst kam Kupfer, dann die härtere Bronze (eine Legierung aus Kupfer und Zinn), und schließlich das Eisen. Die steinzeitlichen Dörfer verloren ihre Autarkie. Bis dahin konnten sie allen Bedarf außer Salz selbst produzieren, oder wenigstens nicht allzu weit entfernt von ihrem Wohnort gewinnen. Importe von Keramik, Hartsteinen, Schmucksteinen, Gold oder Bernstein gab es zwar, doch diese waren nicht ausschlaggebend für das Überleben der Siedlungen.

Durch die Einführung der Metalle wurden die Menschen abhängig von Werkzeugen, die sie nicht mehr selbst herstellen konnten. Der Werkstoff kam meist von weit her, und für die Verarbeitung waren Spezialisten erforderlich, vermutlich Wanderhandwerker. Außerdem brauchten die Krieger jetzt bessere und teurere Waffen aus Metall, die denen aus Holz und Stein überlegen waren. Um die importierten Metalle, metallischen Werkzeuge und Waffen zu bezahlen, musste die landwirtschaftliche Produktion ausgeweitet werden, zum Nachteil der Umwelt. Diese steigenden Anforderungen an die Ökonomie ließen möglicherweise schon neue Sozialstrukturen entstehen – mit einflussreichen Häuptlingen an der Spitze, die ihren Machtbereich ausweiten wollten (3). Doch den entscheidenden Umsturz erzwangen wahrscheinlich militärisch überlegene Eroberer.

Die Unterdrücker kommen auf dem Rücken der Pferde
Gegen Ende des 6. vorchristlichen Jahrtausends begann eine historische Wende, deren Folgen bis heute nachwirken: mit der Domestikation des Pferdes.
Hirtenvölker in den weiten südrussischen Steppen zwischen Dnjepr, Don und Wolga (heute etwa östliche Ukraine und Nord-Kasachstan) lernten Wildpferde zu zähmen, sie als Tragtiere und zum Ziehen von Karren und Streitwagen einzusetzen, und später auch zu reiten. Eine nie dagewesene Mobilität verführte diese Nomaden, von der Mitte des 5. Jahrtausends vor Christus an, zu immer ausgedehnteren Raubzügen, welche die erste bekannte Völkerwanderung auslösten.

In einer Folge von Invasionen fielen Kurgan-Völker in Osteuropa, Archäer und später Dorer in Griechenland, semitische Stämme in Palästina ein. Diese indogermanischen Krieger-Völker überrannten die Siedlungen der alteingesessenen Stämme.
Zwei unterschiedliche Gesellschaftsformen, am deutlichsten sichtbar in den Religionen und Mythologien, prallten auf einander:
Alteuropa huldigte der Großen Mutter, hatte eine ausgeglichene Sozialstruktur ohne große Klassengegensätze und war friedlich.
Die kriegerischen Eroberer waren patriarchalisch organisiert, hatten deutliche Klassenunterschiede, und ihre höchste Gottheit war ein männlicher, strenger Gott, der absoluten Gehorsam fordert. Ein typischer Stammesgott, der – ähnlich dem im Alten Testament dargestellten Jahwe – sein Volk allen anderen vorzieht und sogar Mord, Raub und Unterdrückung legitimiert.
Die beiden Gruppen verfügten auch über verschiedene Symbolsysteme, die bis heute in der Mythologie und Folklore Europas weiterleben. Als Beispiel die Deutung der Farben:
* Schwarz:
Alteuropäisch: Farbe der Fruchtbarkeit und der Mutter Erde; wurde auf deren Nachfolgerin, die „Schwarze Madonna“ übertragen.
Indogermanisch: Farbe des Todes und der Unterwelt (Farbe der Trauerkleidung noch heute).
* Weiß:
Alteuropäisch: Farbe des Gebeines, steht für Tod.
Indogermanisch: Farbe des Gottes des strahlenden Himmels. (7, S. 130).

Muss wirklich der Krieg der „Vater aller Dinge“ sein?
Wie meist in der Geschichte, siegten mit den Eroberern auch deren Götter, und die Gottheiten der Besiegten wurden in den Untergrund verdrängt, aus dem sie nur gelegentlich als blasse Erinnerungen, Gespenster, Dämonen, Hexen, Teufel auftauchen.
Auch mit dem friedlichen Leben gleichberechtigter Bauern war es vorbei. Von nun an gab es, neben dem bescheidenen Grab des einfachen Menschen, prunkvolle Fürstengräber mit reichen Beigaben, darunter geopferte Menschen.

Der Wohnsitz eines Herrschers liegt jetzt auf einer gut zu verteidigenden Anhöhe und wird befestigt. Dann entstehen Stadt-Staaten, die sich gegenseitig bekriegen. Auf Jahrhunderte von Krieg und Zerstörung folgen die ersten Hochkulturen. Es sind die Gesellschaften, die in den Geschichtsbüchern als Wiegen der Zivilisation gefeiert werden. Voraussetzung für deren Entwicklung waren nach Ansicht der meisten Historiker streng hierarchisch organisierte, patriarchalische Herrschaftssysteme mit bestens bewaffneten, gut ausgebildeten, disziplinierten Truppen.

Allerdings: Nach sechs oder sieben Jahrtausenden des Krieges beginnen heute vor allem Feministinnen zu fragen, ob wirklich „der Krieg als Vater aller Dinge“(Heraklit) der Motor der Zivilisation sei, oder ob friedliche Wege, ohne Mord und Zerstörung, dem kulturellen Fortschritt dienlicher wären. In dieser aktuellen Betrachtung werden zwei Herrschaftssysteme verglichen:

Das seit Jahrtausenden dominierende Patriarchat mit hierarchischer Gliederung – gewaltbereit, diszipliniert, kriegerisch. Sein Gott ist der Rachegott des Alten Testamentes.

Anders die auf Ausgleich bedachte, mehr weiblich organisierte „gylanische“ Zivilisation (Matriarchat). Sie ist friedlich, und ihre Göttin ist die „Große Mutter“.

Und wie steht es mit dem Christentum?
Schon in der Antike wurde, zum Beispiel von Marcion **), entschieden darauf hingewiesen, dass der Gott des Alten Testamentes und der von Jesus gepredigte liebende Vater als zwei verschiedene Götter erscheinen. Folgt man dem Werk „Im Lichte der Wahrheit – Gralsbotschaft“ (1) , dann war sich Jesus, der seinen himmlischen Vater als „abba“ (Papa) ansprach, bewusst, dass der wesenlose Schöpfer, als Ursprung alles Seienden weit über dem Männlichen und dem Weiblichen in der Schöpfung steht.
Die auf Harmonie gerichtete, friedliche Lehre Christi verträgt sich daher mit der Verehrung einer „Urkönigin“ oder „Urmutter“.
Diese wird in der Gralsbotschaft als dem göttlichen Reich zugehörig beschrieben, als die „allererste göttlich-wesenhafte Ausstrahlungs-Verkörperung, die als einzige darin die idealste weibliche Gestaltungsform annahm. Sie ist also die Urgestaltung der Ausstrahlung der Gottesliebe, die als erste in ihr Gestaltung trägt.“ (1, Band 3, Vortrag 32, Absatz 41). Jedoch hat die „Himmelskönigin“, die für das Schöpfungswerden von großer Bedeutung ist, nichts mit Maria von Nazareth zu tun.

Friedliche Beziehungen statt Eroberung
„Die Idee vom ,göttlichen Weiblichen‘ erregte großes Interesse, weil sie zur Neubestimmung der Stellung der Frau in modernen Gesellschaftsformen herangezogen werden konnte. Viele Feministinnen der westlichen Welt begrüßten die These, dass einst eine auf einer Göttinnen-Religion basierende Gesellschaft existierte, deren Ziel, modernen Göttinnen-Bewegungen zufolge, nicht Eroberung oder Herrschaft war; sie konzentrierte ihre Energien vielmehr auf ein auf das Weibliche zentriertes Organisationsmodell mit Betonung friedlicher Beziehungen. Diese Thesen scheinen durch die Entdeckung der Kultur von Catal Hüyük (6250-5400 v. Chr.) bestätigt zu werden, die von Mellaart als ‚Supernova in der eher düsteren Galaxie gegenwärtiger Bauernkulturen‘ beschrieben wurde. Bildhauerei, Malerei, Weberei und Töpferei florierten, und Gebäude und Schreine – viele davon offenkundig einer höchsten Göttin gewidmet – waren nach einem ausgeklügelten architektonischen Entwurf errichtet. Verteidigungsanlagen fehlten, und die etwa 150 in dem Gebiet entdeckten Gemälde zeigen keine Gewaltszenen. Die erhaltenen Mythologien der Region bestätige den Eindruck einer friedlichen agrarischen Lebensweise.“
Husain Shahrukh (aus: „Die Göttin“, Taschen, Köln, 2001, S. 16).

Frauengestalten in der christlichen Tradition
In den urchristlichen Gemeinden spielten Frauen wichtige Rollen. Selbst im theologisch zurechtgestutzten Neuen Testament bleibt Maria Magdalena eine herausragende Figur – unabhängig davon, ob Jesus nun, wie heutige Geschichtsforscher manchmal vermuten, mit ihr verheiratet gewesen sein mag oder nicht. (Vgl. „Das Geheimnis der Maria Magdalena“ unter „Religionsgeschichte“). Andere Frauen leiteten zu Paulus‘ Zeiten christliche Gemeinden.

Es war ein Unglück für die christliche Religion, dass autoritäre Priester es bequemer fanden, mit der Androhung von Hölle und Verdammnis zu disziplinieren, als das Wort des Heilandes vorzuleben. So verschwand das Feinere, Edlere zum großen Teil aus der christlichen Lehre. Drohung ersetzte die geistige Förderung. Dass Frauen im Urchristentum tragende Rollen spielten, wurde verdrängt, und die bis heute gültige männliche Dominanz etabliert.

So können heutige Feministinnen mit gewissem Recht behaupten, dass der tiefere Gehalt des Glaubens der Urchristen – so weit sich die eigentliche Lehre Jesu rekonstruieren lässt – dem religiösen Kern des Kultes der Großen Mutter näher stand als den Lehren von dem eifersüchtigen und rachsüchtigen Gott des Alten Testamentes.

Ein sozial-politisches Programm für die Welt
Unabhängig von der derzeit unbeantwortbaren Frage, ob es das Zeitalter der Göttin in seiner idealen Form je gegeben hat, erwachsen in unserer Zeit aus dem uralten Kult der Großen Mutter soziale und politische Ziele:
Der seit Jahrtausenden dominierende, drohende und rächende Gott, der Rassismus , Krieg, Unterdrückung, Fanatismus fördert, sogar zu Mord und Zerstörung auffordert, hat ausgedient. Auch wenn sich derzeit noch in vielen Teilen der Welt der religiöse Fanatismus tummelt.

Nun soll nach dem Wunsch vieler Feministinnen die Göttin zum Symbol werden für eine moderne Religion des Friedens. Wie die von Jesus verkündete Lehre vom liebenden Vater wünscht auch die Religion der Allmutter Ausgleich statt Streit, Kooperation anstelle von Konfrontation. Sie verachtet Fanatismus in jeder Form, und will wahren Frieden bieten im Sinne der Weihnachtsbotschaft.

Endnoten:
*) In den Satanischen Versen“ 53. Sure, 18 bis 25.
**) Vgl. „Religionen der Antike VIII“

Lesen Sie dazu auch unter Buchbesprechungen „Das Rätsel der Donauzivilisation“ und in „Kurz, knapp, Kurios“, Seite 228, „Die Vertreibung aus dem Paradies“.

Literatur:
(1) Abd-ru-shin „Im Lichte der Wahrheit“, Verlag der Stiftung Gralsbotschaft, Stuttgart.
(2) Baumer Franz, Der Kult der großen Mutter, Langen Müller, München 1995.
(3) Bergmann Joseph, Die metallzeitliche Revolution, Dietrich Reimer, Berlin, 1987.
(4) Der Spiegel, 44/2006 vom 30. 10. 2006, S. 190 f.
(5) Der Spiegel, 52/2006 vom 22. 12. 2006, S. 116.
(6) Eisler Riane, Kelch und Schwert, Goldmann, München, 1987.
(7) Gimbutas Marija, Das Ende Alteuropas, Universität Innsbruck, 1994.
(8) Gimbutas Marija, Die Sprache der Göttin, Zweitausendeins, Frankfurt, 1996.
(9) Gimbutas Marija, Die Zivilisation der Göttin, Zweitausendeins, Frankfurt 1996.
(10) Husain Shahrukh, Die Göttin, Taschen, Köln, 2001
(11) Naso Publius Ovidius, Metamorphosen, DTV-Artemis, München 1990.
(12) Scarre Chris, Weltatlas der Archäologie, Südwest, München, 1990.
(13) Steinbart Hiltrud, Im Anfang war die Frau, R. G. Fischer, Frankfurt 1983.