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Religionsgeschichte

Die Religionen besser abschaffen?

 (Veröffentlicht in GralsWelt 43/2007)
Das 20. Jahrhundert wurde verschiedentlich das Jahrhundert der Demagogen und Diktatoren genannt: Lenin, Stalin, Mussolini, SAlazar, Hitler, Franco, Mao, Castro, Pol Pot. So unterschiedlich diese Unterdrücker in ihren Persönlichkeiten oder ihrem politischen Profil waren, sie alle entfachten eine pseudo-religiöse „Begeisterung“ – tatsächlich war es Hysterie -, die bei einigen Fanatikern bis heute anhält; lange nach dem Tod der einst bewunderten Diktatoren, und dem Scheitern ihrer verbrecherischen Ideologien.

Als gegen Ende des 20. Jahrhunderts auch die Regierung der Volksrepublik China ihre Politik änderte und vom Maoismus abrückte (ohne den verstorbenen „Vorsitzenden“ zu kritisieren), durfte man für das 21. Jahrhundert eine sachlichere, mit weniger Ideologie befrachtete, Weltpolitik erwarten.

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht.

Das Mittelalter kehrt zurück

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erstarkten – zunächst fast unbemerkt – in verschiedenen Weltreligionen fundamentalistische Bewegungen. Sehr alte, längst als unwahr erwiesene religiöse Ideen fanden überraschend breite Beachtung: Apokalyptiker, Evangelikale[i], militante Islamisten, Kreationisten, Endzeitpropheten, Pfingstgemeinden, Wundergläubige, religiös motivierte Zionisten, fanden Zulauf und konnten sogar Einfluss nehmen auf politische Entscheidungen.

Für die Anhänger solcher Gruppierungen hat es dem Anschein nach kein Zeitalter der Aufklärung gegeben. Sie predigen Anachronismen, ignorieren die Naturwissenschaften, halten manchmal noch an abergläubischen Vorstellungen fest, und fühlen sich wohl in längst überwunden geglaubten Weltbildern.

Mächtigen Auftrieb gab den Fundamentalisten in drei Weltreligionen das Terror-Attentat am 11. September 2001:

Das christliche Amerika fühlte sich vom Islam angegriffen. Fanatische Muslime sahen den Beginn der „islamistischen Weltrevolution“, oder sogar der Endzeit. Und der Staat Israel musste sich (wie die gesamte westliche Welt) von religiös motivierten Terroristen bedroht fühlen. Der militante religiöse Fundamentalismus der einen Seite fachte fundamentalistische und militante Reaktionen der anderen Seite an.

Droht uns im 21. Jahrhundert anstelle des politisch-ideologischen Ost-West-Konflikts nun eine Neuauflage des „Dreißigjährigen Krieges“, wieder ein „Krieg der Religionen“, oder richtiger der Konfessionen?

Eine Neo-Aufklärung ?

In der westlichen Führungsmacht, den USA, bilden Atheisten angeblich eine geächtete Minderheit, und fundamentalistische Christen gewinnen an Einfluss.

In Afrika und Asien ist der Islam die am schnellsten wachsende Religion.

In Mittel- und Südamerika erlangt Woodoo zunehmende Bedeutung. („Eine neue Großreligion“).

In Europa suchen manche im Christentum ein Gegengewicht gegen den aggressiven Islam. Dazu könnte die Europäische Union sich als „Christen-Klub“ definieren, der zwar für die Ukraine, Weißrussland, und in fernerer Zukunft sogar für Russland offen stehen mag, dem aber auf keinen Fall die Türkei mit ihrer islamischen Regierungsmehrheit beitreten darf.

Religionen sind auf bestem Wege, die Politik in einer Weise mitzubestimmen, wie sie vor einem halben Jahrhundert noch undenkbar schien.

Gegen diese Renaissance der Religionen, und ihren richtungweisenden Einfluss auf politische Entscheidungen, die Kriege beinhalten können, machen nun moderne Wissenschaftler mobil. Sie stellen Religionen als solche in Frage. Allen voran der bekannte Biologe Richard Dawkins, ein profilierter Verfechter des Neo-Darwinismus:

Religionsgemeinschaften müssen sich – wie schon im 18. und 19. Jahrhundert – erneut vorwerfen lassen, dass ihre heiligen Bücher voller Gräuelgeschichten sind. Der Gott des Alten Testamentes erscheint aus heutiger Sicht als unberechenbarer, bösartiger Tyrann, den schon Gnostiker ablehnten („Der größte aller Ketzer“). Juden, Christen und Muslime, die sich an dem vom Alten Testament beeinflussten Gottesbild ihrer Religionen orientieren, finden hier den Aufruf zu Terror und Gewalt. So können Fanatiker, die ihre jeweiligen heiligen Schriften wörtlich nehmen, sich als Vollstrecker des göttlichen Willens wähnen, wenn sie Unschuldige morden[ii].

Und Kritiker der alten religiösen Bücher fragen, ob die Weltgeschichte nicht glücklicher verlaufen wäre ohne die geschichtlichen Religionen und die schrecklichen Parolen ihrer Bücher. Wäre also der beste Weg zum Weltfrieden die Abschaffung der Religionen? Sind Atheisten vielleicht die „besseren“, die glücklicheren Menschen?

Unsichere Grundlagen

Das Fundament der Weltreligionen bilden „heilige Bücher“, deren Entstehungsgeschichte eine schwierige, sehr kontrovers diskutierte Frage ist. Für Strenggläubige enthalten sie Wahrheit, sind wörtlich zu nehmen und nicht in Frage zu stellen. Dass sich in religiösen Schriften oft genug in der Tat fragwürdige, vielleicht unhaltbare Behauptungen finden, wird verdrängt; oft mit dem Vorwurf der Anmaßung gegenüber Gott. Der Schluss, dass auch heilige Bücher zum Teil lediglich Ideen von Menschen enthalten, mit begrenzter Haltbarkeit, ist für überzeugte Anhänger ihrer Religion ein Sakrileg. Andererseits ist man nur zu gerne bereit, die Überlieferungen anderer Religionen (die die wenigsten Gläubigen kennen) abzuwerten, wenn nur die eigenen Bücher unangetastet bleiben.

Die großen Religionsgemeinschaften haben es bisher vermieden, die „religiösen Grundwahrheiten“ ihrer heiligen Bücher zu hinterfragen.

So wäre z. B. im Abendland zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ideen der Philosophie der Aufklärung (die Kirchen lange bekämpften), wie etwa die Menschenrechte, nicht so selbstverständlich als „christliche Werte“ zu vereinnahmen sind, wenn man sich die wörtlichen Aussagen der Bibel vornimmt. Man wird – nicht nur im Alten Testament – auf vieles stoßen, das sehr erklärungsbedürftig ist.

Schwierig dürfte der Dialog mit Muslimen bleiben, solange sie im Koran das „unerschaffene Wort Allahs“ sehen, das nicht in Frage gestellt werden darf. Wie bei uns früher – bei einigen Fanatikern noch heute – auch die Bibel. Hier können z. B. die Vereinten Nationen nicht billigen, dass in islamischen Ländern die UN-Charta nur so weit als gültig betrachtet wird, wie sie dem Islam und dessen Geboten nicht widerspricht.

Das umstrittene Gottesbild des Alten Testamentes, das neben Juden auch Christen und Muslime beeinflusst, wurde schon erwähnt.

So müssen sich alle Religionsgemeinschaften mit nicht mehr zeitgemäßen, teilweise unhaltbaren, eigenen Dogmen auseinandersetzen. Zu dieser ebenso dringend nötigen wie unpopulären Aufarbeitung einer langen, oft unglücklichen Religionsgeschichte gehört die Einsicht, dass niemand, selbst wenn er für sich in Anspruch nimmt „die ganze Wahrheit“ zu kennen, im Namen Gottes sprechen und handeln kann. Also die Erkenntnis, dass alles religiöse Handeln – jenseits allen Anspruchs – dennoch durch irrtumsbeladene Menschen geschieht. Auf dieser Grundlage sollten wir die edlen Gemeinsamkeiten der verschiedenen Religionen betonen, und die Feindschaften zwischen ihnen nicht als von Gott gewollt betrachten. Das ist, zugegeben, „menschlich“ gedacht, aber was können wir Besseres tun?

Unbelehrbares Beharren auf den alten Überlieferungen wird nicht zur Förderung der menschlichen Kultur, zu Frieden und Freiheit beitragen. In diesem Fall müsste man tatsächlich fragen, ob das Verschwinden solcher, in Starrheit befangener, Religionsgemeinschaften ein Verlust für die Menschheit und deren Religiosität wäre.

Die Zukunft von Religionen

Menschen sind spirituelle Wesen. Ich halte dies für eine Tatsache. Das Bedürfnis nach Religiosität entspringt dieser Gegebenheit.

Spiritualität braucht mehr als Lehre, Liturgie, Ritual. Spiritualität und Religiosität sind der Ausdruck eines sehr persönlichen, inneren Erlebens und Erkennens, das nicht lehrbar, nicht erlernbar, und vor allem nicht aufzwingbar ist.

Höchste Zeit, dass die religiösen Gemeinschaften erkennen, dass sie zwar Hilfestellungen leisten können, aber Bevormundung, Drohung, oder gar Unterdrückung vermeiden müssen. Den „Inneren Weg“ der religiösen Erfahrung darf jeder einzelne Mensch selbstbestimmt gehen. Ich persönlich bin des Glaubens, dass Gott dies erlaubt, sogar fordert. –

Von Menschen, die nur das mit Instrumenten Messbare in ihr Weltbild einbeziehen, darf man nicht zu viel Verständnis für die Spiritualität verlangen. Als Vertreter der „Naturwissenschaften“ nehmen solche manchmal die „Wahrheit“ für sich allein in Anspruch[iii]. Dass sie den Atheismus manchen Religionslehren vorziehen, kann man unter dem oben Gesagten nachvollziehen. Ihre, nicht von der Hand zu weisenden, harschen Religionskritiken können Anstöße werden zur Selbstbesinnung religiöser Gemeinschaften und zur Revision religiöser Weltbilder. Dabei gelte: „Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.“

Literatur:
(1) Dawkins Richard, The God Delusion, Bantam Press, London 2006.
(2) Der Spiegel, 43/2006 vom 23. 10. 2006.
(3) Trimondi Victor und Victoria, Kampf der Religionen, Wilhelm Fink, München, 2006.
Endnoten:
[i] Evangelikale = Protestanten, die von der unbedingten Autorität der Neuen Testamentes (Evangelium) ausgehen.
[ii] Von Hitler stammte der Ausspruch: ‚“Indem ich mich des Juden erwehre, tue ich das Werk des Herrn“. Hätte er den Krieg gewonnen, gälte heute unter Umständen „Mein Kampf“ als „heiliges“ Buch.
[iii] In der Wissenschaftstheorie ist man sich ziemlich einig, dass die Wissenschaften nicht „Wahrheit“ im umfassenden Sinn erkennen können.