(Veröffentlicht in GralsWelt 71/2012)
Menschen wurden über Bord geworfen, damit die Transportversicherung für „verlorene Fracht“ bezahlt: Ein besonders abschreckendes Beispiel dafür, was zu Zeiten des Sklavenhandels legal möglich war.
Im Jahr 1781 war das britische Sklavenschiff Zong unterwegs von Westafrika in die Karibik. Ihr Kapitän Luke Collingwood (ca. 1733–1783) machte erst seine zweite Reise auf einem Sklavenschiff, und es war seine erste Reise mit eigenem Kommando. Auch die Crew hatte nicht viel Erfahrung. So war das Schiff mit 470 Sklaven überladen, die Verpflegung für die Sklaven war zu knapp bemessen, und die Reise bis Jamaika dauerte lange – wegen ungeschickter Navigation und widriger Winde oder Windstille in den gefürchteten „Doldrums“[i]. Hier lag das Schiff lange in einer Flaute und der Proviant für die Sklaven ging zur Neige.
Dann brach noch eine Seuche aus, die schnell siebzehn Mitglieder der Mannschaft und etwa sechzig unterernährte schwarze Sklaven dahinraffte. Es zeichnete sich ab, dass diese Schiffsreise zu einer finanziellen Katastrophe für die Sklavenhändler werden würde. „Guter Rat“ war teuer.
133 kranke Sklaven warf man über Bord
Für den Kapitän ergab sich eine zusätzliche Berechnung, die offenbar bedeutender war als moralische Bedenken: Starben die Sklaven während des Seetransportes, konnte von den Unternehmern die Transportversicherung in Anspruch genommen werden; starben die Sklaven aber erst an Land, würde die Versicherung nicht zahlen.
Um seinen Auftraggebern möglichst viel von dem eingesetzten Kapital zu retten, entschloss sich der Kapitän zu einer rigorosen Maßnahme: Innerhalb von drei Tagen – vom 29. November bis zum 1. Dezember 1781 – ließ er 133 erkrankte oder sterbende Sklaven, mitten im Atlantik, über Bord werfen! So galten diese Sklaven als „verlorene Fracht“ für die die Versicherung zahlen müsste! Weitere zehn Sklaven sprangen aus Verzweiflung selbst über Bord.
30 Pfund Schadenersatz für jeden toten Sklaven
Als das Schiff schließlich in Jamaika ankam, verlangten die Schiffseigner von ihrer Versicherung 30 Pfund Schadenersatz für jeden der verlorenen Sklaven.
Für die vorsätzliche Tötung von 133 Sklaven wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Eine Mordanklage gegen Kapitän Collingwood scheiterte. Zu dieser Zeit galt die Tötung von Sklaven – einzeln oder in Massen – rechtlich nicht als Mord. Den damaligen geschriebenen Gesetzen entsprechend war das Vorgehen des Kapitäns und seiner Besetzung nicht strafbar.
Die Versicherung weigerte sich, für die vorsätzlich über Bord geworfenen Sklaven aufzukommen. So kam es zu einem Gerichtsprozess wegen Schadenersatzes. In der ersten Instanz in Jamaika gewannen die Schiffseigner. Das dortige Gericht vertrat den Standpunkt, die Schwarzen seien „Güter und Eigentum“ und ebenso zu behandeln, als ob Pferde über Bord geworfen worden wären.
Der Schadenersatzprozess ging in die zweite Instanz nach London. Hier wurde die Crew für schlechtes Management und schlechte Behandlung der Sklaven verantwortlich gemacht und die Schiffseigner gingen leer aus.
„Sklavenladungen“ von Seelsorgern begleitet
In den Zeiten der Aufklärung, den Menschenrechts-Deklarationen der USA (1776) und der Französischen Revolution (1789) wurde es immer schwieriger, die Sklaverei zu rechtfertigen. Von der christlichen Ethik gar nicht zu reden, die allerdings sehr unterschiedlich interpretiert wurde.
Seit Beginn des neuzeitlichen Sklavenhandels im 16. Jahrhunderts hatten sich die europäischen Sklavenhändler als Christen ausgegeben, indem sie ihre „Ladungen“ von einem Seelsorger begleiten ließen. Diese Vermischung von Christentum und Sklavenhandel war im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert nicht mehr zu vertreten. (6).
Forderungen der „Abolitionisten“[ii], die die Abschaffung der Sklaverei verlangten, bekamen zunehmendes Gewicht.
Erst 1863 wurde in den USA die Sklaverei beendet
Die Gerichtsverhandlungen um den Zong-Fall fanden zunächst wenig Beachtung, bis sich Vertreter der Antisklavereibewegung, die Menschenrechtler von damals, des Falls annahmen und in Publikationen an diesem Beispiel die Gräuel der Sklaverei brandmarkten.
Auch im englischen Parlament wurde das Thema Sklaverei immer wieder diskutiert, doch die Sklavenhändler und Sklavenhalter konnten ihre kommerziellen Interessen noch lange durchsetzen. Dem britischen Parlament wurden sogar Listen mit 30.000 Unterschriften vorgelegt, die die Abschaffung des Sklavenhandels forderten. Zunächst vergebens.
Erst im Jahre 1807 verabschiedete das Parlament in London ein Verbot des Sklaven-Handels, noch nicht der Sklaverei als solcher. Diese wurde in Großbritannien und seinen Kolonien erst 1833 vollständig abgeschafft. Die Eigentümer von Sklaven wurden entschädigt; allerdings nicht alle. Denn die Entschädigung war an Bedingungen geknüpft, die nicht jeder Sklavenhalter erfüllen konnte. So gingen beispielsweise die Buren in Südafrika leer aus.
Frankreich verbot die Sklaverei in seinen Kolonien 1848, und die USA beendeten die Sklaverei in ihren südlichen Staaten erst 1863, mitten im Bürgerkrieg. Als letztes Land der westlichen Welt folgte Brasilien 1888. –
Lesen Sie dazu auch in „Kurz, knapp, kurios“ auf Seite 285 „Sklavenraub im Mittelmeer“, auf Seite 341 „Eine ewige, unvermeidliche Einrichtung“ auf Seite 355 „Ein Rechtsbruch der rechtens war“ und auf Seite 446 „Die Sklaverei endete, der Rassismus blieb“ mit weiteren Hinweisen zum Thema.
Literatur:
Gonick Larry, The Cartoon History of the Modern World Part II, Harper, New York 2000.
www …
Das Zong-Massaker:
www.cassiopaea.org/forum/index.php?topic=20760.
www.en.wikipedia.org/wiki/Luke_Colligwood
www.en.wikipedia.org/wiki/Zong_Massacre.
www.blackpast.org?q=gah/zong-massacre-1781.
www.museeprotestant.org/Pages/Notices.php?cim=405&lev=2¬iceid=408&scatid=13&Lget=DE.
Endnoten:
[i] Die Doldrums sind eine tropennahe, dauerhafte Tiefdruckrinne mit Windstille, die durch Platzregen und Gewitter unterbrochen wird.
[ii] Von engl. abolition = Abschaffung.