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Geschichte/Historik

Der Kaiser hinter dem Pflug


Guter Wille ist zwar Voraussetzung, aber er alleine genügt nicht.

Eine der interessantesten, aber auch widerspruchsvollsten Herrschergestalten des 18. Jahrhunderts ist Joseph II. von Habsburg-Lothringen, Erzherzog von Österreich-Lothringen (13. 3. 1741 – 20. 2. 1790). Von 1765-1780 auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.

Seine Mutter war Maria Theresia von Österreich (13. 5. 1717 – 29. 11. 1780), ab 1740 Thronerbin des instabilen, mehrsprachigen, multiethnischen und multikulturellen Habsburgischen Reiches, das Österreich, die Steiermark, Kärnten, Krain, Tirol, Ungarn, Böhmen, die katholischen Erzbistümer Köln, Mainz und Trier, verschiedene und wechselnde Teile Italiens und die Österreichischen Niederlande (etwa das Belgien von heute) umfasste.
Sein Vater war Franz Stephan I. von Lothringen (1708-1765); ab 1745 als Franz I. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.
Joseph II. hatte 15 Geschwister, von denen etliche früh starben. Von den Überlebenden waren von historischer Bedeutung:
* Leopold II. von Österreich-Lothringen (1747-1792), der Nachfolger von Joseph II., 1790-92 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.
* Maria Karolina von Österreich-Lohringen (1752-1814), ab 1768 Königin von Neapel-Sizilien.
 * Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen (1755-1793), 1770 Dauphine von Frankreich, ab 1. Mai 1774 Königin von Frankreich.

Es waren schwierige Zeiten, in denen die Philosophen der Aufklärung alles in Frage stellten – von der Monarchie bis zur Kirche.
Die Regierungsformen der Fürsten schwankten zwischen dem barocken Herrschaftsverständnis eines Ludwig XIV. von Frankreich (1638-1715) und den Modellen der Aufklärung. Das Ansehen der Kirchen war erschüttert, was diese aber nur anspornte, mit allen Mitteln um ihren Machterhalt zu ringen.

Die Wirtschaft basierte im Wesentlichen auf Landwirtschaft, Handwerk und Handel, mit etwas Bergbau und einigen Manufakturen; oft erschüttert durch Kriege, Missernten, Hungersnot und Seuchen. Wichtig war vor allem die menschliche Arbeitskraft, und die vielen Leibeigenen hatten einen nur unwesentlich besseren Status als einst die Sklaven der Antike.
Die durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) in Mitteleuropa stark zurückgegangene Bevölkerung[i] nahm langsam zu und wusste oft nicht, wie sie sich ernähren sollte.[ii]
Etwas Entspannung brachte in Kolonialländern wie England, Frankreich, den Niederlanden, Portugal und Spanien der Fernhandel. Diese Staaten konnten einen Teil ihrer wachsenden Bevölkerung nach Übersee abschieben und ihre Kolonien ausbeuten.
Ohne dass es den Zeitgenossen – besonders dem uneinsichtigen Adel – bewusst wurde, stieß ihre feudale, ausbeuterische Ökonomie an Grenzen. Es gab viele Turbulenzen, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu Revolutionen führten. Man kann lange darüber diskutieren, ob die Theorien der Philosophen die Revolutionen auslösten, oder wirtschaftliche Zwänge wie Energiemangel, Missernten, Ressourcenverknappung, Seuchen, Staatsbankrott, Wetterkapriolen[iii] und schlechte Verwaltung. Oder spielten sie alle zusammen?
Erst die, bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts in England beginnende, industrielle Revolution konnte die energetischen Grenzen verschieben und ein bis dahin unvorstellbares wirtschaftliches Wachstum einleiten.

Trotz mancher Schwierigkeiten leistete sich das Habsburger Großreich unter Maria-Theresia, nach spanischen, römischen und französischen Vorbildern, eine aufgeblähte, luxuriöse Hofhaltung:
„Unter Maria Theresia und ihrem galanten Gemahl, Franz von Lothringen, nahm der Wiener Hof…eine sehr glänzende Gestalt an und wurden die Burg und die kaiserlichen Lustschlösser die Schauplätze lärmender Karussells, Opern, Ballette und Bälle, zu welchen oft zweitausend Gäste Einladungen erhielten. Der Hofstaat kostete aber auch jährlich im Ganzen an 6 Millionen Gulden[iv]. Die Möblierung des kaiserlichen Speisesaals kam auf 90.000 Gulden zu stehen, das massivgoldene Tafelservice wog 4,5 Zentner; jeder der achtundfünfzig Teller hatte 2.000 Gulden, das ganze 1.300.000 Gulden gekostet. Bei Hofe wurden jährlich 12.000 Klafter[v] Holz verbrannt, 2.200 Pferde standen in den Marställen. Bei Ausfahrten liebte es die Kaiserin, sich tüchtig mit Kremnitzer Dukaten[vi] zu versehen, um sie den Bettlern links und rechts aus dem Wagen zu werfen. Ihre Verschwendung, die in der Naivität absolutistischen Herrschertums die Beutel ihrer Untertanen als die ihrigen ansah, wurde von der Aristokratie eifrig nachgeahmt, und es riss namentlich unter den Frauen der vornehmen Gesellschaft eine Spielwut ein…“ (3, S. 346).

Der designierte Thronfolger
Nach drei älteren Schwestern, von denen zwei im Kleinkindalter gestorben waren, kam 1741 endlich der ersehnte Thronfolger, Joseph II., zur Welt.
Von klein an war er sich seiner Bedeutung als Thronerbe bewusst.
Er erhielt eine vielfältige Erziehung, die durch den Einfluss seines Vaters nicht nur den Jesuiten überlassen war. So erfuhr Joseph schon in jungen Jahren von den Ideen der Aufklärung und las – zum Unwillen der Mutter – die wichtigsten aufklärerischen Schriften, die ihn sein Leben lang beeinflussten.
Neben den für einen Thronfolger nötigen Unterrichtungen über Justiz, Militär, Politik, Sprachen, Staatslehre usw. spielte auch die Leibesertüchtigung, z. B. Fechten und Reiten, eine Rolle.
„Der Herrscher…hat eine widerspruchsvolle Erziehung genossen. Seine Erzieher sind einerseits Männer der Kirche,… zum anderen französische Freigeister…gewesen. Daneben überhäufte eine Gruppe von Professoren…den jungen Monarchen mit Wissen und Ratschlägen. Das Ergebnis dieser widerspruchsvollen und meist oberflächlichen Bildung war ein ehrgeiziger junger Mann, dem das Ideal vorschwebte, alles in seinem Lande zu verbessern.“ (5, S. 474).
Das typische Problem der Politiker-Ausbildung auch von heute: Soll man von fast allem ein wenig nur oberflächlich wissen, oder doch besser ein Fachgebiet fundiert durchdringen?

Als Zwanzigjähriger legte Joseph seiner Mutter eine Denkschrift vor, die bereits die wichtigsten Punkte seines späteren Reformprogramms vorwegnahm und stark von den Ideen der Aufklärung geprägt war.
Schon unter der bigotten Maria Theresia gab es vorsichtige Ansätze zu Reformen, wie die Abschaffung einiger Feiertage und der Tortur, die aber bei weitem nicht so weit gingen wie die Gedanken ihres Sohnes.
Denn Maria Theresias Ziel war vor allem, das föderative Österreich, mit seinen fast autonomen Kronländern, in einen zentralistischen Einheitsstaat umzuwandeln. Dazu mussten viele Privilegien entfallen. Das wurde zur Geburtsstunde des Staatsbeamtentums und der Bürokratie, die nicht unwesentlich dazu beitrugen, dass sich der Vielvölkerstaat der Habsburger bis ins 20. Jahrhundert halten konnte. Leider gab es auch schon eine Geheimpolizei. (3. S. 346).
Josephs II. Wertschätzung von Friedrich II. von Preußen (1712-1786), einem der wenigen aufgeklärten Monarchen, den er zweimal traf, war für Maria Theresia, die in dem Preußenkönig einen „bösen Mann“ sah, nur schwer zu ertragen.

Als Mitregent
Nach dem Tod seines Vaters (1765) wurde Joseph II. Mitregent neben oder unter seiner Mutter, der hochangesehenen Kaiserin Maria Theresia, die inmitten ihres aufgeblähten Hofstaates in einem der größten Barockschlösser (der Sommerresidenz Schönbrunn) oder in der luxuriösen Wiener Hofburg präsidierte. Ihre Umgebung bestand vor allem aus Hofschranzen, die alles durch die Brille des Adels sahen, wenig von dem Leben der Bauern, Bergleute, Handwerker, Kaufleute, Leibeigenen, Soldaten – dem weitaus größten Teil der  Bevölkerung – wussten, und sich für die Anstrengungen und die Not der Armen nicht interessierten.
Joseph II. sollte langsam in die Regierungsgeschäfte eingeführt werden. Zunächst hatte er nicht viele Entscheidungsmöglichkeiten, und seine „modernen“ Ideen, wie die religiöse Toleranz, führten zu Spannungen mit seiner streng katholischen Mutter. Die Habsburger waren ja seit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) eine Speerspitze der Gegenreformation gewesen.

Vielleicht um Dissonanzen mit seiner Mutter zu entgehen, schaffte es Joseph II. aus dem Hofzeremoniell auszubrechen, inkognito durch das Land zu reisen und das Leben der Mehrzahl seiner Untertanen hautnah zu erfahren. Seine Reisen führten ihn nicht nur durch die Habsburgischen Lande, sondern weit darüber hinaus durch große Teile Europas, von Frankreich und Italien bis Russland. Unter den damaligen Verkehrsverhältnissen ein durchaus anstrengendes Unterfangen.
Er sah das Leid der einfachen Menschen, das ihn tief berührte.
Als er im August 1769 in Mähren wegen eines Radschadens aus seiner Kutsche aussteigen musste, nahm er auf einem nahen Acker selbst einen Pflug in die Hand und zog eine Furche. Das sprach sich schnell herum. Der „Kaiser als Bauer“ wurde ein Symbol der Volksnähe, und der „Pflug Josephs“ zu einer Reliquie fürs Museum.
1777 kam er endlich nach Paris, der glanzvollsten Metropole Europas, um seine Lieblingsschwester Marie Antoinette und Ludwig XVI., das französische Königspaar, in Versailles zu besuchen.
Zur allgemeinen Überraschung bezog Joseph II. in der Stadt Paris Quartier, um etwas von dem „wirklichen Leben“ der Menschen zu erfahren. Die Pariser waren von ihm begeistert. Vieles stieß ihn ab, und die Zustände im Hotel-Dieu, dem großen Krankenhaus von Paris, erschütterten ihn. 1784 veranlasste er den Bau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien, dem seinerzeit modernsten Klinikum.
Es gelang Joseph II. leider nicht, seinen Schwager, Ludwig XVI., zu überzeugen, dass auch er aus dem versteinerten Hofzeremoniell ausbrechen und etwas von Leben des Volkes sehen müsse. So konnte Joseph II. diesen nur vor einer Revolution warnen, die aus Joseph II. Sicht ohne rechtzeitige Reformen unvermeidbar schien.
In den europäischen Regierungen erkannte anscheinend niemand die Bedeutung des amerikanischen Freiheitskampfes, mit seiner Unabhängigkeitserklärung von 1776. Dabei wäre dieser Krieg der späteren USA gegen England ohne die wirksame Hilfe Frankreichs wohl gescheitert.

Joseph II. privates Leben war unglücklich. Seine erste Frau, Isabella von Parma, die er sehr liebte, verstarb nach nur drei Ehejahren.
Die geliebte Tochter, mit dem Namen Maria Theresia, wurde nur sieben Jahre alt.
Eine aus dynastischen Gründen notwendige Ehe mit Maria Josepha von Bayern war unharmonisch und endete nach nur zwei Jahren mit dem Ableben Maria Josephas.
Danach ließ sich Joseph II. keine weitere Ehe mehr aufzwingen.

Als aufgeklärter absolutistischer Herrscher seiner Zeit zu weit voraus
Als Maria Theresia 1780 verstarb, aufrichtig betrauert von Ihrem Sohn Joseph, der sie trotz aller Meinungsverschiedenheiten geliebt hatte, wurde Joseph II. zum Herrscher des schwierigen Habsburgischen Großreiches.

Auf außenpolitischem Gebiet blieben ihm Erfolge versagt; er konnte sein Reich nicht erweitern bzw. konsolidieren. Die nationalen Eitelkeiten und die politischen Spannungen zwischen den auf dem Kontinent maßgeblichen Staaten – Frankreich, Habsburg, Preußen, Russland, Türkei – waren nach wie vor groß.
Ein möglicher Anschluss Bayerns, im Tausch gegen die Habsburgischen Niederlande, scheiterte durch Preußen, das eine solche Machterweiterung des Habsburgischen Reiches nicht dulden wollte und mit Krieg drohte. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der uneinheitlichen Habsburgischen Besitzungen reichten nicht zur Aufstellung einer Armee, die Preußen (als einem viel kleineren Land) gewachsen gewesen wäre.
Joseph II. war auch kein begnadeter Feldherr, doch ein überzeugter Reformator.

Die wichtigsten seiner Reformen
* Abschaffung der Leibeigenschaft. Sehr zum Ärger des Adels, der Einkünfte verlor.
* Offiziell war Joseph II. „Stellvertreter Christi“, „Fürsprecher der christlichen Kirche“ und „Beschützer Palästinas“ (1, S. 198); doch er verordnete Religionsfreiheit, auch für Juden (Toleranzedikt), und eine Kontrolle der Kirche durch den Staat.
Diese Maßnahmen veranlassten Papst Pius VI. zu dem ungewöhnlichen Schritt, im Februar 1782 Italien zu verlassen und persönlich in Wien zu intervenieren. Er wurde höflich empfangen, konnte aber nichts bewirken.
* Aufhebung der Klöster, die weder Kranke pflegten, noch Schulen betrieben. Das betraf einen großen Teil der etwa 1.500 Männerklöster und 500 Frauenklöster Österreichs. (3, S. 344).
* Grundschulen, Mädchenschulen, Gymnasien und Universitäten wurden gefördert. Die Universitäten sollten besonders Beamte schulen. Auch die Ausbildung der Militärärzte wurde gefördert. In Florenz ließ er ca. 1.200 hervorragende anatomische Wachsmodelle anfertigen.
* Abschaffung von Feiertagen und Prozessionen. Schon Maria Theresia hatte einige der etwa 150 Feiertage aufgehoben; nun folgten etliche weitere. Oft zum Unmut der kirchentreuen Bevölkerung.
Die „protestantische Arbeitsethik“[vii] steigerte, u. a. durch die Abschaffung von vielen Feiertagen, die Arbeitsleistung. Die Überlegenheit der Ökonomie des protestantischen Nordens gegenüber der des katholischen Südens ließ sich nicht verleugnen; man musste über Gegenmaßnahmen nachdenken.
* Im Justizsystem gab es Reformen des Straf- und Zivilrechts, der Prozessordnungen usw. Die Todesstrafe wurde abgeschafft.
* Abschaffung der Binnenzölle und dafür hohe Einfuhrzölle.
Diese Maßnahme erlaubte einheimischen Fabrikanten schlechtere Qualität zu höheren Preisen zu verkaufen und führte zu Spannungen mit den Nachbarländern.
* Abschaffung der aus dem Mittelalter stammenden Zunftordnungen, die die industrielle Entwicklung behinderten.
Joseph II. widersetzte sich der Vermehrung der Maschinen, aus Furcht, diese würden „Tausende ihres Lebensunterhalts berauben.“ (1, S. 196).
* Um den Umlauf des Kapitals zu fördern wurde das Zinsverbot aufgehoben und ein jüdischer Bankier als Baron geadelt.
* Als Anhänger der Physiokratie[viii] wollte Joseph II. nur noch den Grundbesitz besteuern.
Dazu wurde eine komplette Neuvermessung des gesamten Reiches erforderlich.
Nach diesem neuen Gesetz sollte ein Bauer 70 % seines Ertrages oder Einkommens behalten, 12 % an den Staat abführen und den Rest zwischen Feudalabgaben und dem kirchlichen Zehnten teilen.
Vorher musste er in etwa 34 % an den Staat zahlen, 29 % an den Grundbesitzer und 10 % an die Kirche, sodass ihm nur 27 % verblieben. (1, S. 198).
Die Adeligen protestierten, in Ungarn kam es zum offenen Aufstand gegen dieses Vorhaben.

Die Reformen Joseph II. glichen einer Revolution von oben. Sie standen im Gegensatz zum traditionellen Brauchtum, den Adelsprivilegien und alten Rechten von Patriziern, Zünften und Kaufmannschaft.
Bei allem Verständnis für die Leiden der Volkes war er nicht zum Dialog mit seinen Untertanen bereit. Alle Entscheidungen sollten von Oben kommen.
Von den Niederlanden bis Ungarn gab es große kulturelle, rechtliche und traditionelle Unterschiede, und die von Joseph II. angestrebte, einheitliche Reichsordnung stieß auf vielfache Proteste und provozierte sogar Erhebungen.

Zuletzt schien sich alles gegen ihn zu wenden:
Ungarn befand sich in offener Rebellion gegen Joseph II. Edikte und verlangte Selbständigkeit. In den Österreichischen Niederlanden gab es eine Revolte. Die Absetzung von Joseph II. wurde gefordert, und die „Sieben Provinzen“ der Österreichischen Niederlande erklärten ihre Unabhängigkeit.

Die USA waren eine eigenständige, demokratische Nation geworden. In Frankreich war seit 1789 Revolution. Die ganze, alte Welt, die Joseph II. gekannt hatte, schien einzustürzen.
Die Hinrichtung von Schwester und Schwager, des französischen Königspaares, und den Aufstieg Napoleons musste er nicht mehr erleben.

Joseph II. war seit Jahren gesundheitlich angeschlagen; er überforderte sich in seinem Reformeifer. Nun begann er ernsthaft zu leiden und fühlte wohl den kommenden Tod. Von seinem Bruder Leopold, als dem designierten Nachfolger bedrängt, gab Joseph II. jeden Widerstand auf. Am 30. Januar 1790 widerrief er alle seit dem Tode Maria Theresias befohlenen Reformen, außer der Abschaffung der Leibeigenschaft.
 Er starb am 20. Februar 1790 an Tuberkulose.

Nachfolger wurde sein Bruder Leopold II.
„Unfähig, die ungarischen Barone zu befrieden, widerrief Leopold die Gewährung der Freiheit an die Leibeigenen. In Böhmen und Österreich blieben die meisten der Reformen bestehen. Die Toleranzedikte wurden nicht widerrufen, die geschlossenen Klöster wurden nicht wieder zugelassen, die Kirche blieb den Gesetzen des Staates unterworfen. Die ökonomische Gesetzgebung hatte Handel und Industrie befreit und ihnen nachhaltigen Auftrieb gegeben. Österreich vollzog ohne blutige Revolutionen den Übergang von einem mittelalterlichen zu einem modernen Staat und hatte teil an dem vielfältigen kulturellen Leben des 19. Jahrhunderts.“ (1, S. 214).

Fazit
Joseph II., mit seinem „aufgeklärten Absolutismus“, hatte ein für einen autokratischen Herrscher des 18. Jahrhunderts bemerkenswertes Herrschaftsverständnis:
Er ging von den Menschen aus, sah die Leiden, Sorgen und Probleme seiner Untertanen und wollte deren Lasten lindern. Ein unter den damaligen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Gegebenheiten schwieriges, fast utopisches Unterfangen.
Selbst heute, unter ganz anderen Voraussetzungen, wird nicht selten – sogar in Demokratien – noch vom Staat aus gedacht: Es gilt den Staat zu stabilisieren, dessen Einflussbereich zu erweitern und seinen Durchgriff zu festigen. Das Gemeinwohl muss nicht selten hinter Staatszielen zurücktreten, und der Wahlspruch „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard) ist vergessen. Regelmäßig folgen dann noch ausufernde Bürokratie, Regulierungswut und Einschränkungen der persönlichen Freiheit.
Eine aufgeblähte Propaganda-Industrie muss dann die Wähler davon überzeugen, dass das alles ihrer Wohlfahrt dient und verschleiern, dass der angebliche Schutz des Staates vor allem dem Erhalt einer sehr reformbedürftigen Demokratie mit schwachen, zerstrittenen, egoistischen Parteien dient.

In die Geschichte eingegangen ist Joseph II. als ein weitsichtiger Reformer, der zu schnell zu viel wollte. Denn es gelang ihm nicht – bei allem guten Willen und persönlichem Vorbild – seine Völker für die vielfältigen Reformen zu begeistern.
Die noch – fast wie im Mittelalter – vorwiegend „traditionsgelenkte“ Mehrheit hing am Überkommenen. Adel, Kaufleute, Kirche, Zünfte pochten auf die oft komplizierten „alten Rechte“. Sie wollten nicht einsehen, dass Vieles überholt war und einer Weiterentwicklung im Wege stand.
Der „innengelenkte“, dem „Neuen Denken“ aufgeschlossene, leider nicht körperlich gesunde Joseph II. fühlte sich unter Zeitdruck und überarbeitete sich. Er setzte in bestem Wollen seine Überzeugungen mit der ihm gegebenen Macht durch, um der Wohlfahrt der ihm anvertrauten Menschen zu dienen.
Das „Alte Denken“ und das „Neue Wissen“ standen sich verständnislos gegenüber.

Hier eine zusammenfassende Würdigung der komplizierten Persönlichkeit Joseph II. durch einen ihm zeitlich noch relativ nahe stehenden Historiker, der nach der Revolution von 1848/49 aus Deutschland fliehen musste:
„Josef führte eine einfache und tätige Lebensweise. Er war weder im Essen ein Feinschmecker noch in der Kleidung ein Zyniker wie Friedrich[ix]. Nie kamen mehr als sechs Schüsseln auf seine Tafel, sehr selten trank er Wein. Trug er nicht die Uniform eines seiner Regimenter, so hatte er einen einfachen Rock von dunkler Farbe an. Den Hofstaat seiner Mutter verminderte er um die Hälfte und begnügte sich, jährlich eine halbe Million Gulden auszugeben, statt wie jene sechs Millionen. Er liebte die Musik, namentlich die deutsche, und spielte das Violoncell. Mozart, der unter seiner Regierung seine herrlichen Tonwerke dichtete, schätzte er hoch…
Die Hast, womit sein sanguinisch-cholerisches Temperament den Kaiser seine Reformpläne ins Werk setzen ließ, machte dieselben scheitern…
Allein sein Wollen war rein und ernst, seine Begeisterung für die Aufklärung und Beglückung der Völker aufrichtig. Bei allem Unglück, das seine Bestrebungen verfolgte, war doch er es, welcher Österreich der spanisch-mittelalterlichen Versumpfung zu entreißen und mit der neuzeitlichen Bewegung in Beziehung zu setzen unternahm.“
(3, Seite 362).

Sein Grabmal ist ein schlichter Sarg, kein prunkvolles, barockes Bauwerk.

Auf Josephs II. Denkmal in Wien steht zutreffend:
„Saluti publicae vixit non diu sed totus“.
(Er lebte dem Gemeinwohl, nicht lange, aber ganz).

Literatur:
(1) Durant, Will: „Kulturgeschichte der Menschheit“ Band XXX, Editions Recontre Lausanne, o. J.
(2) Reinalter, Helmut: „Joseph II.“, C. H. Beck, München, 2011.
(3) Scherr, Johannes: „Deutsche Kultur- und Sittengeschichte“, Agrippina, Wiesbaden, o. J.
(4) Zierer, Otto: „Neue Weltgeschichte“, Fackelverlag, Stuttgart, o. J.
(5) Zierer, Otto: „Kultur- und Sittenspiegel“ Band III, Fackelverlag, Stuttgart, o. J.
(6) „Joseph II. – Kaiser und Rebell“, Fernsehfilm in Koproduktion von ORF III mit ZDF-arte, gesendet am 15. 4. 2022 bei arte.


[i] Die Bevölkerung von Österreich, Ungarn und Böhmen stieg von 18.700.000 im Jahre 1780 auf 21.000.000 im Jahr 1790. (1, S. 198).

[ii] Lesen Sie dazu „Warum wir in die Bevölkerungsfalle stolpern“.

[iii] Lesen Sie dazu in „Kurz, knapp, kurios“ auf Seite 110 „Wie das Klima Geschichte schreibt“.

[iv] Der Name „Gulden“ kommt von Goldgulden der Stadt Florenz, „Florentiner“ genannt, daher die Abkürzung fl. Florentiner Goldgulden hatten etwa 3,5 g Gold. Später war „Gulden“ auch eine Rechnungseinheit.
„Um 1754 musste für einen Gulden ein Meister zwei Tage, ein Geselle zweieinhalb Tage und ein Tagelöhner drei Tage zu je 13,5 Stunden arbeiten.“  (http://de.wikipedia.org/wiki/gulden#Der_Gulden_als_Reichsw.).
Zum Vergleich: Im Deutschen Kaiserreich hatte ein 10 Mark Goldstück einen Feingehalt von ca. 3,58 g Gold.

[v] Ein Klafter Holz entsprach etwa drei Kubikmetern.

[vi] Dukaten waren in Europa verbreitete Goldmünzen mit einem Feingehalt von etwa 3,44 g Gold. Kremnitz ist eine ehemalige Bergwerkstadt in der Slowakei.

[vii] Lesen Sie dazu in „500 Jahre Reformation“ unter „Gedenktage“ das Kapitel „Die protestantische Arbeitsethik“.

[viii] Die Physiokratie („Herrschaft der Natur“) geht davon aus, dass nur die Natur Werte hervorbringt, und demnach Grund Und Boden der einzige Ursprung für den Reichtum eines Landes sind.

[ix] Friedrich II. von Preußen, genannt „der Große“.