Go West!
(Veröffentlicht in GralsWelt 31/2004)
Im Amerika des 19. Jahrhunderts kursierte ein Witz: Wenn ein richtiger Westener an der Himmelspforte steht, ist seine erste Frage an St. Petrus: „Wo geht es nach Westen?“
Im Westen suchten viele das gelobte Land. Reichtum und Glück war jedem verheißen, wenn er nur dazu bereit war, sich dem Abenteuer der Erschließung des Westens zu stellen. Und die Eroberung des Westens ging immer schneller – und zunehmend unkontrolliert – voran. Schon zwei Jahrzehnte nach der berühmten Expedition von Lewis und Clark (siehe Teil 4 dieser Serie) fuhren primitive Dampfschiffe auf den Flüssen Mississippi und Missouri. (Vgl. dazu auch in „Kurz, knapp, kurios“ Seite 214 „Auf Umwegen zum Erfolg“).
Die Regierungen im Osten, weit entfernt von einer sich laufend verschiebenden Grenze, verloren den Überblick und ließen Händler, Bauern, Pelzjäger, Prospektoren, Abenteurer und Finanzhaie machen was sie wollten. Schließlich war Amerika ein „freies Land“, und der Westen – zunächst fast ohne staatliche Verwaltung – noch ein wenig freier. „Go west – Auf in den Westen“ lautete das Motto! Doch was für die „freien Amerikaner“ freies, amerikanisches Land war, das war zugleich die Heimat der Indianer.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sah die politische Landkarte Nordamerikas noch anders aus: Kalifornien sowie Arizona und Neumexiko waren spanisch. Und die Spanier, eifrig darauf bedacht, keine Amerikaner ins Land zu lassen, schnitten die USA vom Pazifik ab. Erst als 1822 Mexiko unabhängig wurde – zuerst als Kaiserreich, später als Republik -, kam ein für Spanien und Amerika interessanter Handel zustande: William Becknell (1790-1832) eröffnete 1822 den „Santa Fe Trail“, einen Handelsweg vom Missouri nach Santa Fe in Neumexiko.
Um 1833 brachten Berichte vom „paradiesischen Oregon“ Bewegung in die Entwicklung des „Wilden Westens“. Bald zogen Scharen von Auswanderern auf dem „Oregon Trail“ dreieinhalbtausend Kilometer nach Westen. Zuerst waren es fünf- bis sechstausend, am Höhepunkt der Reisewelle fünfzig- bis sechzigtausend Menschen, die jedes Jahr aufbrachen.
1846 schließlich eroberten die USA Neumexiko, und 1848 konnten sie den Mexikanern Kalifornien abkaufen. Thomas Jeffersons Traum war Wirklichkeit geworden: Der dritte Präsident der USA und Verfasser der Unabhängigkeitserklärung hatte ein Imperium gewollt, das vom Atlantik bis zum Pazifik reicht – nun, nur 22 Jahre nach seinem Tod, war es soweit!
Goldrausch in Kalifornien
Ein Jahr darauf (1849) wurde in Kalifornien Gold gefunden. Damit begann der erste große „Goldrausch“. Tausende und Tausende strömten nun über den sogenannten „California Trail“ zu den Goldfeldern. Doch das „große Glück“ vor Augen, starben Unzählige auf diesen strapaziösen, mehrere Monate dauernden Reisen. (Lesen Sie dazu in „Kurz, knapp, kurios“ Seite 85 „Der Mann, den sein Reichtum arm machte“).
Der „Prärie-Schoner“ oder Castanoga wurde zum Symbol der Eroberung des fernen Westens. Aber nur, wenn die Planwagenkolonnen von erfahrenen „Mountainmen“ (vgl. Teil 4 dieser Serie) geführt wurden, waren keine unerträglichen Verluste zu beklagen.
Auf dem „Oregon-Trail“ kam beispielsweise jeder Siebzehnte ums Leben, besonders Kinder und Frauen. Bei den Todesursachen stand an erster Stelle Cholera. Dann folgten alle übrigen Krankheiten, und schon an dritter Stelle Unfälle mit Schusswaffen; denn die Westwanderer waren zumeist Bauern und Arbeiter, überwiegend aus europäischen Hungergebieten, die vorher noch kaum eine Waffe in der Hand gehalten hatten.
Indianerüberfälle waren dagegen vergleichsweise selten, denn kein Stamm griff – wie in den Wildwest-Filmen – eine große Wagenkolonne mit Hunderten von Bewaffneten an. Allenfalls stahlen Indianer nachts einige Rinder oder fielen über zurückgebliebene Einzelreisende her; die Mehrzahl der Trecker bekam aber keinen Indianer zu sehen.
Trotzdem war die sechsmonatige Reise (von April bis Oktober) durch die Weiten der Großen Ebenen, über die Rocky Mountains und zuletzt noch die küstennahen Gebirge (Kaskadenkette bzw. Sierra Nevada) ein strapaziöses Abenteuer. Der Weg war weit und die Zeit drängte; denn wer zu früh aufbrach, fand nicht genug Futter für die Zugtiere, da zu wenig Gras gewachsen war. Wer zu spät startete, konnte in den Gebirgen im Schnee stecken bleiben. Die Überschreitung von Flüssen und Pässen mit Fuhrwerken war nicht selten lebensgefährlich und oft nur in Zusammenarbeit mehrerer Teams zu bewältigen. Auch das Wetter war für Überraschungen gut, mancher Blizzard erschwerte die Reise.
Der Trail grub seine Spuren teilweise so tief in Sand und Fels, dass man sie an manchen Strecken heute noch sehen kann. Auf Hunderten von Metern Breite zogen sich Wagenspuren durch die Prärie; daneben lagen Tierkadaver, Fäkalien, Gräber, und die Rastplätze an den Flüssen waren Kloaken. Nach etlichen Tagereisen markierten den Weg aufgegebene, teils wertvolle Güter, zum Beispiel Klaviere, die von überladenen Wagen geworfen werden mussten.
Für die Entwicklung Amerikas waren diese Westwanderungen von größter Bedeutung. Es galt, radikal Neues zu wagen, ohne sein Ziel vorher zu kennen. Sprache, Religion, Staatszugehörigkeit spielten keine Rolle bei diesem Kreuzzug „amerikanischer Tüchtigkeit“, der „freie Menschen“ formen sollte, die sich von Europa abnabelten. Die Frauen, ohne deren Hilfe die Eroberung des Westens gescheitert wäre, mussten als gleichberechtigt anerkannt werden. So führte Wyoming als erster Staat der Welt das Frauenwahlrecht ein.
Und des Indianers Land?
Indianer duldeten die Durchreisenden, wie sie schon vorher die Anlage von Handelsniederlassungen, meist Forts genannt, hingenommen hatten. Diese waren nun wichtige Stützpunkte für die Westwanderer. Als aber die Trails immer mehr frequentiert wurden, die Planwagenleute immer mehr Wild schossen, wurden die Indianer nervös und verlangten Wegezoll. Die „freien Amerikaner“, die sich auf „freiem amerikanischen Land“ bewegten, reagierten empört und forderten Hilfe von der Armee. Den ersten Konflikt dieser Art gab es 1829 auf dem Santa-Fe-Trail; von da an datiert die Feindschaft mit den südlichen Prärieindianern, und Militäreskorten mussten die Handelszüge schützen.
Durch die Besiedlung Oregons und Washingtons – beide Staaten kamen 1846 zur Union -, und den Kauf von Kalifornien wurde der Überlandweg von Ost nach West (zu Schiff auf dem Missouri und dann über die Großen Ebenen, die Rockies und die Sierra Nevada oder die Kaskaden) immer wichtiger. Der Seeweg um Kap Hoorn dauerte drei bis vier Monate, wobei mehr als ein Viertel der Schiffe verloren gingen.
Die Armee sicherte die Landrouten durch Forts, und in einem Vertrag von Fort Laramie akzeptierten 1851 die Indianerstämme, sich nur noch in einem bestimmten Raum zu bewegen – das war der Beginn der Reservationspolitik. Die Laufzeit dieses Vertrages war auf 50 Jahre abgeschlossen. Doch bald wurde sie von der US-Regierung auf 10 Jahre verkürzt – ohne die Indianer darüber zu informieren.
Indianerrechte wurden immer weniger respektiert. Siedlungen entstanden, ohne die Indianer zu fragen. Missverständnisse führten zu Schießereien oder gar Massakern, und immer wurde die Schuld den Indianern zugeschoben, die der Landesentwicklung „im Wege standen“: „Während des Goldrausches in Kalifornien und Nevada rotteten die Goldsucher ab 1850 die dort lebenden kleinen Stämme – als „Jagdspaß“ – so gründlich aus, dass es dort schon zehn Jahre später so gut wie keine Indianer mehr gab.“ (4, S. 72).
Der Siouxaufstand in Minnesota
Eine heftige Revolte, die fast 800 Weißen das Leben kostete, gab es 1862 in Minnesota. Diese Erhebung der Sautee-Sioux wurde von einem korrupten Indianeragenten ausgelöst (5, S. 62), der vertraglich zugesagte Lebensmittellieferungen zurückhielt:
„Eine Raupenart – die Eulenfalter – hatte die gesamte Maisernte vernichtet. Nur die fristgerechte Lieferung der vertraglich vereinbarten jährlichen Lebensmittel hätte die Sautees vor dem Verhungern retten können. Die Lagerhäuser des Agenten waren bis an die Dächer mit Lebensmitteln gefüllt. Aber er weigerte sich, diese herauszugeben, ehe nicht der entsprechende Geldbetrag der Regierung eingetroffen war. Die Finanzbeamten Washingtons aber, die Mühe hatten, die immensen Kriegskosten aufzutreiben, hielten das Geld zurück.“ (4, S. 113 f.).
Der deutsche Farmer Heinrich Berthold schrieb damals aus Neu Ulm an seinen Bruder in New York:
„Sie müssen verhungern. Es sind fleißige, gottesfürchtige, fromme und ehrliche Indianer, hilfsbereit und frohgelaunt. Aber ihre Situation ist furchtbar. Wir helfen, wo wir können, aber die Raupen haben auch unsere Felder heimgesucht. Die skrupellosen Indianerhändler, die sie auf Schritt und Tritt betrügen, sagen, dass sie große Schulden bei ihnen hätten. Ich wüsste nicht für was…Die Indianer fürchten, dass die Händler mit den Lagerhausbeamten einen Handel gemacht haben, dass die Beamten den Händlern einen Großteil des Sioux-Geldes als Schuldenabzahlung geben werden, wovon sie dann einen guten Teil in die eigene Tasche stecken.“ (3, S. 157 f.).
Als Little Crow, der Häuptling der Sioux, den Indianeragenten beschwor, doch endlich die Lagerhäuser zu öffnen, da sein Volk sonst vor Hunger sterben müsse, erhielt er die zur Antwort: „Wenn sie hungrig sind, sollen sie Gras fressen!“ (3, S. 158).
Mit Windeseile verbreitete sich dieses Wort, und die Sioux schlugen los. Dann griff die Armee ein und erstickte den Aufstand in Blut.
Literatur:
(1) Davis, William C.. „Der Wilde Westen“, Karl Müller, Erlangen; 1994.
(2) Gardner, Mark L.. „Santa Fe Trail“, Southwest Parks and Monuments Association, Tucson; 1993.
(3) Stammel, H. J.: „Indianer“, Bertelmann, Gütersloh; 1977.
(4) Stammel, H. J.: „Solange Gras wächst und Wasser fließt“, DVA, Stuttgart, 1976.
(5) Utley, Robert M.: „Indian, Soldier and Settler“, Jefferson National Expansion Historical Association, St. Louis, 1979.