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Kasino-Kapitalismus

Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt zu tun ist

Von Hans-Werner Sinn, Econ, Berlin 2009, ISBN 978-3-430-20084-4

Veröffentlicht in Gralswelt 56/2010

Die Welt-Finanzkrise von 2008, die eine Welt-Wirtschaftskrise ausgelöst hat, ist in aller Munde. Die Schuldigen werden gesucht und nicht gefunden. Dafür verbreiten Politiker die Hoffnung, dass die Talsohle erreicht sei. Spätestens 2011 soll es aufwärts gehen und die Wirtschaft dann auch wieder kräftig wachsen.

Wer sich über die Hintergründe der Krise informieren möchte, sollte das oben genannte Buch von Hans-Werner Sinn lesen. Der Verfasser ist Ordinarius an der LMU (Ludwigs-Maximilians-Universität) München, Leiter des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und gilt als einer der profiliertesten Ökonomen Europas.

In seinem auch für Nicht-Ökonomen gut verständlichen Buch mit anschaulichen Grafiken beschreibt er die Entwicklung und die zu erwarten Auswirkungen der Finanzkrise. Dabei zeigt sich, dass die ganze, zu sehr dem freien Spiel der Kräfte überlassene, Finanzordnung krank ist und das kapitalistische Wirtschaftssystem als solches – für dessen Wert Sinn nachdrücklich eintritt – in Gefahr bringt.

Verantwortlich für die Finanzkrise sind Regierungen, Notenbanken, staatliche Finanzaufsichtsbehörden, unzureichende Regulierungen, zu freizügige oder gar verantwortungslose Gesetze, Bankmanager, Rating-Agenturen, Immobilienmakler, sowie Hauskäufer und andere Bürger (vor allem in den USA), die über ihre Verhältnisse gelebt haben.

Wie in unserem „Zeitalter der Globalisierung“ nicht anders zu erwarten, gab es auf breiter Front Manipulationen, die man eigentlich nur betrügerisch nennen kann. Beispielsweise bei den berüchtigten Schrottpapieren (z. B. die Mortgage-Backed Securities = MBS, vergl. S. 132 f.) oder bei der Bewertung von Einfamilienhäusern (vergl. S. 113).

Als ich vor gut 60 Jahren kaufmännischer Lehrling war, gab es als selbstverständlich geltende Anstandsregeln und bewährte, gute kaufmännische Grundsätze, die nur von Gaunern und vorsätzlichen Betrügern übergangen wurden, mit denen kein seriöser Kaufmann Geschäfte machte. Heute sitzt diese Kategorie als dunkle Ehrenmänner in Führungspositionen. Diese machen sich über die angeblich „aus dem Mittelalter stammenden“, längst überholten Handelssitten lustig. Mit ihrer Kapitalmacht erpressen sie demokratische Politiker, die dann die staatlichen Gesetze den Wünschen der großen Ausbeuter anpassen. Kein Wunder, dass die Demokratie vielerorts in Misskredit gerät.

Doch entscheidend für den Finanzkollaps sind nach Hans-Werner Sinn vor allem drastische Fehler im System. Wie schon Adam Smith (1723-1790) wusste, kann die Marktwirtschaft nur mit einem geeigneten Ordnungsrahmen funktionieren. Die innerhalb der Einzelstaaten existierenden, unentbehrlichen Spielregeln für eine soziale Marktwirtschaft wurden im Globalisierungs- und Deregulierungs-Wahn aufgeweicht und nicht oder nur in unzureichendem Maße durch internationale Regelungen ersetzt. Der neoliberale Glaube an die Selbstregulierung der Märkte, die ohne staatliche Regelung alles automatisch in Ordnung bringen werde, hatte sich weltweit durchgesetzt. Die Bahn wurde frei für eine Neuauflage des verrufenen „Manchester-Kapitalismus“, in dem die Starken über die Interessen der Schwachen nach einem luziferischen Prinzip rücksichtslos hinweggehen. Diese Fehleinschätzung von der Selbstregulierung der Märkte ist uns schon spirituell wie materiell teuer zu stehen gekommen, und sie kann noch teuerer werden.

Bei der derzeitigen Verfassung der Welt ist kaum zu erwarten, dass sich die notwendigen Regulierungen in absehbarer Zeit global durchsetzen lassen; denn der nationalstaatliche Egoismus dominiert über einen globalen Altruismus. Aller Voraussicht nach wird es – abgesehen von einigen kosmetischen Reparaturen – im wesentlichen weitergehen wie gehabt: Das außer Rand und Band geratene Wirtschafts- und Finanzsystem ist völlig abgetrennt von geistigen oder moralischen Gesichtspunkten. Es wird auch künftig zwischen Boom und Crash pendeln. Die Starken werden sich bereichern und die Schwachen werden verlieren; ganz im Sinne eines längst überholt geglaubten Sozial-Darwinismus.

Wie lange wird dieses Unrechtssystem bestehen können?