Etwa 200 km nördlich von Lima, der Hauptstadt Perus, befindet sich in einer Wüste eine Ausgrabungsstätte, die zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt wurde. Es handelt sich um Caral, die älteste Stadt Amerikas. Deren Gründung liegt 5.000 Jahre – und vielleicht länger – zurück. Demnach wäre diese Kultur fast so alt wie die ägyptische (ca. 5.500 Jahre) und weit älter als die meisten europäischen Zivilisationen. Zwischen 2600 und 2000 v. Chr. lebten in Caral mehr als 3.000 Menschen in einer blühenden Handelsstadt mit Kontakten entlang der Küsten und weit ins Inland bis zum Amazonas. Um 1800 v. Chr. fand Caral ein jähes, bislang unerklärliches Ende.
Im Stadtzentrum von Caral stand die große Erdpyramide, die – auf einer Grundfläche von 160 mal 150 Meter (der Größe von vier Fußballfeldern) – etwa 18 Meter Höhe hatte und so alt ist wie die Pyramiden Ägyptens. Am steinernen Treppenaufgang zu dieser Pyramide stehen doppelmannshohe, tonnenschwer Monolithe aus Granit. Woher diese stammen ist unklar; denn im Umkreis von 150 Kilometer gibt es keine geeigneten Steinbrüche. Abgesenkte, große Rundbauten aus Stein erinnern an römische Amphitheater.
Um die Stadt Caral – als kulturellem, politischem und religiösem Zentrum – finden sich im Tal des Supe Flusses auf einer Fläche von 80 Quadratkilometern noch weitere 19 Pyramiden oder Tempelberge aus gestampfter Erde. Die gesamte Bevölkerung der Zivilisation von Norte Chico (Caral) wird auf 20.000 geschätzt. Im Tal des Rio Supe entstand auch das erste landwirtschaftliche Bewässerungssystem Amerikas.
In der vielleicht ältesten Stadt Amerikas und einer der ältesten der Welt fanden sich keine Waffen, keine Spuren von Krieg und Gewalt! Die Kultur von Caral war friedlich und kunstfreundlich, wie Funde von Musikinstrumenten (Flöten, Hörner) und Schmuck belegen. Auch eine Knotenschrift wurde verwendet. In weiter entwickelter Form wurde daraus der Quipu, die Schrift der Inka, deren Zivilisation auf der Kultur von Caral aufbaute. Die friedliche Gesinnung der Bewohner von Caral übernahmen die Inka nicht: diese waren ein Volk von Eroberern, das Erfindungen und Entwicklungen unterworfener Völker nutzte.
Von besonderem Interesse scheint mir die friedliche Gesinnung der Bewohner von Caral. In der GralsWelt haben wir mehrmals erwähnt, dass die ersten Zivilisationen vermutlich friedlich waren; in Alteuropa, in der Sahara und in Zentralasien (Vgl. „Der Kult der großen Mutter“, unter „Religionsgeschichte“; „Von Urpatriarchat zum globalen Crash“, unter „Buchbesprechungen“; „Kurz, knapp, kurios“ Seite 228 „Eine Vertreibung aus dem Paradies“). Nun entdecken Archäologen, dass auch die älteste Stadt Amerikas von friedlichen Menschen erbaut wurde, die keine Kriege führten und Gewaltanwendung verabscheuten.
Wird es Zeit, unser sozialdarwinistisches Bild vom gewaltbereiten Menschen zu revidieren, der durch Gesetz und Gewalt zu friedlichem Verhalten gezwungen werden muss?
Lesen Sie dazu auch „Der gewalttätige Mensch – Opfer seiner Entwicklung?“ Hier wird ein heute verbreitetes Bild von der Entwckclungsgeschichte der Menschheit geschildert.
Literatur:
(1) Bild der Wissenschaft, 12/2010, Seite 63 f.
(2) Caral, la primera civilización de America, Univ. de San Martin de Porres, 2008.
(3) Orth René, Völker der Sonne, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Conrad Theiss Verlag, Stuttgart, 2005.
(4) http://en.wikipedia.org/wiki/Caral.
(5) http://en.wikipedia.org/wiki/Cultural_periods_of_Peru.
(6) http://de.wikipedia.org/wiki/Quipu