(Veröffentlicht in GralsWelt 55/2009; Stand 2001)
Gläubige heutiger Religionen halten die nebenstehenden Worte Platons für überholt; denn sie glauben, dass der Gründer ihrer Gemeinschaft diese von Platon erhoffte Aufklärung längst gegeben hat, und es nur an uns selbst läge, die uns zugänglichen spirituellen Einsichten auch umzusetzen.
Anderen religiösen Menschen scheint das Zitat seltsam aktuell.
„Wir müssen warten, bis jemand kommt, der uns lehrt, wie wir opfern müssen und wie wir uns gegenüber den Mitmenschen verhalten sollen. Nur ein Gott kann uns Aufklärung geben… Inzwischen ist es nötig, auf den Trümmern der Wahrheit, die uns noch übrig sind, gleichsam wie in einem Nachen das stürmische Meer dieses Lebens zu befahren.“ Platon (427-347 v.Chr.)
So lange erstere sich um ihre persönliche seelische Entwicklung bemühen, sind ihre teilweise leidenschaftlichen Anstrengungen akzeptabel. Fühlen sie sich jedoch berufen oder gar verpflichtet, ihre Überzeugung Andersdenkenden mit Druck oder vielleicht sogar mit Gewalt aufzuzwingen, dann kann man von Fundamentalisten sprechen, denen es an Achtung vor der Freiheit und der Selbstbestimmung des Menschen mangelt. Denn die Bekenntnisfreiheit ist uns ebenso wie der freie Wille von Gott geschenkt, und keine Kirche, keine Sekte, keine Religion ist berechtigt, diese hohen Gaben des Schöpfers anzutasten.
Besonders seit dem 11. September 2001 ist der religiöse Fundamentalismus zu einem Schlagwort geworden, das vor allem in den Massenmedien undifferenziert auf den Islam bezogen wird, ohne dass der Ursprung dieses Wortes Erwähnung findet.
Was ist Fundamentalismus ?
Die Namensgebung geht auf Traktate zurück, die unter dem Titel „The Fundamentals“ zwischen 1910 und 1915 veröffentlich wurden. (7). Diese sind Ausdruck christlicher Bestrebungen, deren Programm „zurück zu den Grundlagen“ war.
Dieser sogenannte Fundamentalismus entstand Anfang des 19. Jahrhunderts in protestantischen Kreisen der USA. Endzeitbewegungen (z.B. Adventisten, Pfingstkirchler, Presbyterianer), sowie weitere Gruppen, die auf einer wörtlichen Auslegung der Bibel bestanden, wandten sich gegen die Darwinsche Evolutionstheorie.
Zu einem Höhepunkt dieses Streites zwischen naturwissenschaftlicher Forschung und biblischer Schöpfungsgeschichte kam es in dem berühmten „Scopes Prozess“ in Dayton (Tennessee) gegen einen Lehrer, der die gesetzlich verbotene Evolutionstheorie dennoch lehrte. Dieser Sensationsprozess des Jahres 1925 wurde auch verfilmt.
Nach dem Ersten Weltkrieg verschwand der protestantische Fundamentalismus in den USA aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, um erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder an Einfluss zu gewinnen, nun manchmal zusammen mit konservativen Kreisen im gemeinsamen Kampf gegen den Verfall der Sitten und für die traditionellen Werte.
Das fundamentalistische „zurück zu den Wurzeln“ hat allerdings in so gut wie allen Religionen, zu verschiedensten Zeiten, eine mehr oder minder wichtige Rolle gespielt. So kann man in Martin Luther (1483-1546), der mit seinem Schlagwort „sola scriptura“ nachbiblische Offenbarungen, Lehren der Kirchenväter, päpstliche Bullen usw. nicht als Glaubensgrundlagen gelten ließ, einen fundamentalistischen Theologen sehen.
In der Katholischen Kirche gilt heute das als Geheimbund angeprangerte Opus Dei ebenso als fundamentalistisch wie der erzkonservative Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991), der die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) ablehnte, oder die Comunione e Liberazione. Hinzu kommen weitere extremistische Gruppierungen, innerhalb, am Rande oder schon außerhalb der Kirche, wie z.B. das Engelwerk (Opus Angelorum).
Auch in der Esoterik-Szene finden sich fundamentalistische Vereinigungen.
Im Islam werden besonders Schiiten, aber auch die von Saudi-Arabien ausgehende sunnitische Bewegung der Wahabiten als fundamentalistisch betrachtet.
Fundamentalismus heute
Seit etwa den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts gewannen in den USA fundamentalistische Bestrebungen politisches Gewicht. Die einflussreichste Organisation dieser Art ist die Christian Coalition, welche die traditionellen amerikanischen Werte vertritt, biblische Endzeiterwartungen auf die Gegenwart zu beziehen scheint, und dem Staat Israel eine besondere Bedeutung bei der Erfüllung endzeitlicher Verheißungen zuschreibt.
Man darf vermuten, dass solche Gedanken bis ins Weiße Haus wirkten. So hat sich z.B. George W. Bush als „Wiedergeborener Christ“ bezeichnet, der sich unter dem Einfluss des bekannten amerikanischen Predigers Billy Graham (1918-2018) von Alkoholsucht und Dogenabhängigkeit befreien konnte. Ich habe z.B. gehört, dass derzeit (2001) die Tagesarbeit im Weißen Haus mit Bibellesungen beginnt.
Unübersehbar gewannen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch im Islam die fundamentalistischen Bestrebungen an Einfluss.
Im Iran erlangten Schiiten, die schon immer die religiöse und die politische Führung beanspruchten, durch den Ayatollah Khomeini (1900-1989) die Kontrolle des Staates. Khomeini und seine Anhänger kämpften gegen die Verwestlichung der iranischen Gesellschaft, was nach ihrer Ansicht dem Koran widerspricht und den Islam zerstört.
Die Mehrheit der Muslime gehört dem liberaleren sunnitischen Bekenntnis an, doch auch hier gewinnen fundamentalistische Vorstellungen an Einfluss. Die Wahabiten wurden bereits genannt. Im Norden des Sudan sind fundamentalistische Muslime an der Macht, in Ägypten konnten Islamisten für kurze Zeit wichtige Schlüsselpositionen erringen, im Norden Nigerias wurde die von der Verfassung nicht gedeckte Scharia eingeführt, und in weiteren islamischen Ländern gewinnen extreme religiöse Vorstellungen, oft verbunden mit antiwestlichen Tendenzen, an Einfluss. So ließen sich in Afghanistan die Taliban nur gewaltsam (vorübergehend) vertreiben, in Algerien würden nach regulären Wahlen wahrscheinlich Islamisten die Regierung bilden; selbst in der laizistischen Türkei stellt eine islamische Partei die Regierung. In so gut wie allen islamischen Ländern werden andere Religionen benachteiligt oder gar (manchmal per Gesetz) unterdrückt.
Auch Hindus sind nicht immer so friedlich, wie man aufgrund der ihnen zugeschriebenen Duldsamkeit erwarten würde. So gab es in Indien in den letzten Jahrzehnten Hunderte von Übergriffen auf die christlichen oder muslimischen Minderheiten, Ermordungen von Kirchenmitarbeitern und Zwangsbekehrungen. (9).
Sogar im traditionell toleranten Judentum finden sich Gruppierungen mit fundamentalistischen Merkmalen. Diese zeigten sich z.B. in Versuchen, den Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem, das drittwichtigste Heiligtum des Islam, zu sprengen (1, S. 11), oder in der Ermordung des israelischen Premiermisters Yitzhak Rabin (1922-1995), der ebenso wie Mahatma Ghandi (1869-1948) einem Extremisten seiner eigenen Glaubensgemeinschaft zum Opfer fiel.
Gefahren des Fundamentalismus
Eine vertiefte Frömmigkeit, die zurück will zu den Wurzeln ihres Glaubens, wird früher oder später in so gut wie allen Religionen von solchen Gläubigen gefordert, die mit in Äußerlichkeiten, Ritualen und im Bürokratismus erstarrenden Entwicklungen in ihrer Glaubensgemeinschaft unglücklich sind. Diese Suche nach den eigentlichen, nicht von Dogmen und rituellen Vorschriften verstellten, Inhalten der religiösen Lehre kann zur Belebung, zur Erneuerung, zur Reformation führen.
Häufig beharrt fundamentalistisches Denken allerdings auf einem geschlossenen System von Überzeugungen, die keiner Kritik zugänglich sind.
Das betrifft nicht nur Religionen. Auch politische Ideologien, wie Kommunismus, Bolschewismus, Faschismus, Maoismus, Nationalsozialismus, Sozialismus bildeten und bilden noch heute Ersatz-Religionen oder Anti-Religionen, deren Dogmen mit gleichem Eifer vertreten werden wie die sogenannten „religiösen Grundwahrheiten“. Abweichler wurden und werden je nach dem als „Feinde Gottes“ oder „Konterrevolutionäre“ gebrandmarkt, alternative Entwürfe nicht zugelassen.
Die Überzeugung eines typischen Fundamentalisten, sich im alleinigen Besitz der Wahrheit zu befinden, kann zu Unduldsamkeit in Familien und Gewalt zwischen Völkern führen. Keine Religion, keine Ideologie konnte und kann sich von solcher Art Gewaltbereitschaft ganz frei sprechen.
Die Verbrechen christlicher Kirchen im Mittelalter und den ersten Jahrhunderten der Neuzeit sind hinreichend bekannt. Doch auch in unserer Zeit gab es Gewalttaten religiöser Fundamentalisten, sogar in westlichen Ländern, z.B. den USA, wo, sich christlich nennende, militante Abtreibungsgegner mehrere Ärzte ermordeten.
Dass extremistisch denkende Muslime, die die Zerstörung ihrer Religion und Kultur durch den Westen befürchten, zu Terrorismus schreiten können ist offensichtlich. Die geschichtlichen und gegenwärtigen Verbrechen westlicher Staaten (z.B. während der Kreuzzüge, der Reconquista oder durch den Kolonialismus) dienen dabei zur Rechtfertigung der eigenen Verbrechen.
Fundamentalistische Ideologien, mögen sie religiös oder politisch begründet sein, lassen keine Kompromisse zu, kennen kaum Handlungsspielraum, und sind in letzter Konsequenz nicht bereit, Andersdenkenden ihre Lebensrechte zuzubilligen.
Vorschau auf das 21. Jahrhundert
Seit Jahrzehnten wird vom nun beginnenden Wassermannzeitalter gesprochen, das nach Ansicht der New-Age-Propagandisten ein Zeitalter der Spiritualität, der Abkehr vom Materialismus, der Menschlichkeit und des Friedens werden sollte. Grundlage für diese Spekulationen bieten astrologische Lehren, denen zufolge unsere Erde für die kommenden zwei Jahrtausende in einen neuen „Monat“ des ca. 25.800 Jahre dauernden „Großen Jahres“ eintreten wird. Da dieses kosmische Kraftfeld nach Ansicht der Astrologen vom Sternzeichen Wassermann dominiert wird, kann man aus dessen Eigenschaften auf die im beginnenden Aquarius-Zeitalter vorherrschenden geistigen Strömungen schließen.
Leider begann das mit vielen Hoffnungen erwartete neue astrologische Zeitalter mit einem Fehlstart: Nicht die erwartete Bewusstseinserweiterung, sondern religiöser Fanatismus, der sich in schrecklichen Attentaten entlud, machte Schlagzeilen. Gewalt provozierte Gegengewalt, der „Kampf gegen den Terrorismus“ wurde politisches Programm, und Propagandaschlagworte wie die „Achse des Bösen“ erinnern an alttestamentarische Prophetenschelte, die durch Jesus‘ christliche Botschaft im Neuen Testament überwunden schien.
Hoffentlich setzt sich bald die, glücklicherweise auf allen Seiten auch vorhandene, Einsicht durch, dass sich im 21. Jahrhundert Probleme nicht mehr mit der Unterdrückung anderer Menschen „lösen“ lassen, wie das eigentlich nie der Fall war.
Für die Astrologen ist dieser unerwartete Beginn des Wassermannzeitalters dennoch deutbar, denn die moderne Astrologie lehrt auch, dass die viel zitierten Einflüsse der Gestirne von Menschen umgesetzt und gelebt werden müssen. Diese Umsetzung kann je nach der Reife des oder der betreffenden Menschen auf verschiedenen Ebenen gelebt werden. So kann der selbe Aquarius-Strahl religiösen Fanatismus auslösen, aber auch zu Spiritualität und geistigem Erwachen führen, je nach der inneren Wesensart und den geistigen Entschlüssen der einzelnen Menschen.
Es besteht also noch Hoffnung für das 21. Jahrhundert und die Zeit danach: Weltweit erheben sich nicht nur einzelne Fanatiker; auch die Einsicht wächst, dass sich Probleme nicht durch menschenverachtende Gewalttaten lösen lassen. Die Achtung vor dem Mitmenschen, das Interesse an seinen Traditionen und seiner Kultur, ist die unerlässliche Basis für eine lebenswerte, dauerhafte, friedliche Zukunft des Einzelnen als Mitglied der Menschheit.
Im Neuen Testament ist dazu schon fast alles gesagt, und in den Überlieferungen aller Religionen finden sich hinreichend viele Ansätze für die notwendige Völkerverständigung, die im „Zeitalter der Globalisierung“ einer wirtschaftlichen Verflechtung vorausgehen muss, wenn diese „one-world-Ideologie“ nicht schrecklich scheitern soll.
Auch das Werk „Im Lichte der Wahrheit“ unter „Buchbesprechungen“ gehört zu den Botschaften, die ALLEN Menschen Frieden bieten.
Lesen Sie dazu auch „Krieg der Religionen“ unter „Buchbesprechungen“ und „Bedrohung durch religiösen Fundamentalismus?“ unter „Religionsgeschichte“.
Literatur:
(1) Andrews, Richard: „Tempel der Verheißung“, Gustav Lübbe, Bergisch Gladbach, 1999.
(2) Hagl, Siegfried: „Die Apokalypse als Hoffnung“, Droemer-Knaur, München 1984.
(3) Hagl, Siegfried: „Spreu und Weizen“, Gralsverlag, Eggersdorf, 2003.
(4) Herzinger, Richard/Stein, Hannes: „Endzeit-Propheten oder die Offensive der Antiwestler“, Rowolt, Reinbeck, 1995.
(5) Jaschke, Hans-Gerd: „Fundamentalismus in Deutschland, Gottesstreiter und politische Extremisten bedrohen die Gesellschaft“, Hoffmann & Campe, 1998.
(6) Zimmermann, Moshe: „Wende in Israel, zwischen Nation und Religion“, Aufbau Verlag, Berlin, 1996.
(7) http://lexikon.idgr.de/f/f_u/fundamentalismus/fundamentalismus.php.
(8) http://www.efb.ch/Texte/adefusa.htm.
(9) http://www.jesus.ch.www/index.php/D/article/55/3447/#0.
(10) http://www.relinfo.ch/evangelikalismus/fundamentalismus.html#top.